von Marxelinho

Banküberfall

Die leidenschaftliche Reaktion von Jos Luhukay in der Pressekonferenz nach dem Sieg gegen Mainz bestätigt eigentlich genau, wie nahe Hertha am Samstag einer ersten kleinen Krise gekommen war. Das hat gar nichts mit Inkompetenz oder falschen Erwartungen der beobachtenden Öffentlichkeit zu tun, sondern damit, dass zwischen den vier Heimspielen tatsächlich Unterschiede zu erkennen waren, die insgesamt eine Tendenz ergaben: Hertha bekam zunehmend mehr Schwierigkeiten, in jenes Spiel zu kommen, das Luhukay sucht - kein Tiki Taka, um es einmal mit dem Klischeebegriff für Ballbesitz- und Kombinationsfußball zu benennen, sondern eigentlich einen lupenreinen Slomkismus (der derzeitige Hannover-Trainer war, glaube ich, der erste, der die Devise von den zehn Sekunden ausgegeben hat, die ein offensiver Spielzug nach Ballgewinn maximal dauern sollte: Prinzip Bankraub, rein und raus in no time).

Hertha sah sich durch das Pressing von Mainz zu einer Josip-Simunic-Gedenkdreiviertelstunde genötigt, der legendäre Stopper hatte ja auch ein Faible für den gepflegten Querpass auf den Nebenmann in der Viererkette, erst gegen Ende seiner Berliner Zeit wurde er initiativer und interessierte sich für den vertikalen Pass. Die Analytiker von Spielverlagerung bieten in einem Nebensatz an, dass sie die erste Halbzeit von Hertha gegen Stuttgart noch einmal in Augenschein nehmen könnten. Das wäre tatsächlich interessant, denn auf diese Konstellation wird Hertha in Heimspielen noch oft treffen: einen Gegner, der ihr ein unproduktives Ballbesitzspiel anbietet, und selbst auf Umschaltspiel setzt. Hertha macht es auswärts ja auch nicht viel anders, das ist nun einmal die neue Orthodoxie der Liga, der sich nur Spitzenteams und Chaoten wie Hoffenheim und Werder entziehen.

Luhukay predigt weiterhin unbeirrt eine ein wenig widersprüchliche Botschaft: dass Hertha nämlich als Aufsteiger nur um den Klassenerhalt spielt, dass der Verein aber eine Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb jederzeit "unterschreiben" würde. Dahinter steht vermutlich die Erkenntnis, dass die Liga so ausgeglichen ist, dass eben zwischen Platz 17 und 6 keine unüberbrückbaren Welten liegen, sondern die (relativen) Kleinigkeiten, die am Samstag das Spiel entschieden haben. Ein, zwei wichtige Ballgewinne, eine Einzelleistung von Allagui, und insgesamt eine viel bessere Balance der Mannschaft durch die größere Produktivität von Skjelbred im Zentrum.

Dass Ben-Hatira sich im Offensivzentrum (auf der Zehn) hervortat (an allen drei Toren beteiligt), könnte sich als besonders bedeutsam erweisen. Denn wenn es einen Verlierer dieser ersten sieben Spiele und der vor Eintreten verscheuchten Krise gibt, dann ist es der Aufstiegsheld Ronny. Er sucht ganz eindeutig nach seiner Rolle (und auch nach seinem Zauberfuß bei Standards). Insofern hat der Coach also etwas Interessantes getan: er hat an der offenen Mannschaft experimentiert, hat proaktiv und vor 40000 Zuschauern ein System ausprobiert, mit dem er gegen Hannover vielleicht Ronny (und auch Cigerci) auf der Bank lassen und trotzdem Allagui auf der Außenposition spielen lassen könnte.

Dann wäre es an dem Brasilianer, dass er als nächstes einen Banküberfall unternimmt: von der Bank kommen, und gleich Beute machen. Wie Allagui es vorgemacht hat, von dem ohnehin für meine Begriffe nicht klar war, warum ausgerechnet ihn zuletzt mehrfach die frühe Auswechslung und schließlich der Verlust der Position in der Startelf traf. Der Coach sieht alles, die Medien sehen manches anders. Dazwischen liegt die Wahrheit, die am vergangenen Samstag eben zwei Seiten hatte: das bessere Ende und den dürftigen Anfang. Wenn er ein guter Trainer ist, wofür nach wie vor viele Anzeichen sprechen, dann weiß Luhukay, dass er mit den elf Punkten einfach ein wenig Zeit gewonnen hat, um an die Probleme jener Halbzeit zu gehen, an die er in der Pressekonferenz nicht mehr erinnert werden wollte.

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