von Marxelinho

Familiensilber

Fast 120 Minuten mussten die Fans des Arsenal FC am Samstag warten, dann fiel in der zweiten Hälfte der Nachspielzeit das erlösende Tor zum 3:2 gegen Hull City: ein Fersler von Giroud, den Aaron Ramsey mit dem Außenrist unhaltbar in die kurze Ecke setzte. Es war ein passender Abschluss, denn es war der "man of the season", der Arsenal den ersten Titel seit 2005 sicherte. Dass Arsène Wenger später von dem "wichtigsten Titel" seiner Karriere sprach, genau zehn Jahre nach dem Meistertitel mit der "unbesiegbaren" Generation von 2004, das sagt alles über die veränderten Verhältnisse bei Arsenal. Oder aber über die Veränderungen in einer Fußballwelt, mit denen Wenger nur bedingt Schritt hält.

Es war keine überzeugende Leistung, zumal Arsenal sich wieder einmal einen zerstreuten Beginn leistete. Nach zehn Minuten führte Hull mit 2:0, ohne dass jemand genau hätte sagen können, was da schief gegangen war. Zwei Flanken, einmal nach einem Corner, einmal nach einem zweiten Ball, am ehesten könnte man sagen, dass der Rückstand ein Resultat des mangelnden Willens von Arsenal war, sich sofort des Spiels zu bemächtigen. Hull hatte anfangs viel vom Ball, und machte mit ein wenig Glück ein Optimum daraus.

Es blieben 80 Minuten in der regulären Spielzeit, das reichte, um durch einen Freistoß von Cazorla (relativ bald) und einen Abstauber von Koscielny (auch noch immer deutlich vor der Panikphase) den Gleichstand wieder herzustellen. In der Verlängerung kamen schließlich noch Rosicky und Wilshere für Özil und Cazorla. Oxlade-Chamberlain und Walcott waren gar nicht im Kader, ebenso Gnabry. Man sieht also, dass Arsenal offensiv nicht dringenden Bedarf hat, trotzdem halten sich hartnäckig Gerüchte über Julian Draxler, der dann vermutlich Podolski das Leben schwer machen würde, der in London sehr populär ist, am Samstag aber schwach war.

Sehr interessant fand ich den Vergleich zwischen den beiden Verleihungszeremonien, die ich unmittelbar hintereinander sah: Zuerst die im Olympiastadion live, danach die in Wembley. Nicht nur wegen der Anwesenheit eines Prinzen in England hatte die Überreichung des Pokals dort eine deutlich feudalere Note. Die Spieler und Trainer müssen an einer seltsamen Kombination von Menschen vorbeidefilieren. Hull City gehört ja einem aus Ägypten stammenden Geschäftsmann, dazu kamen diverse weitere Vertreter der besitzenden Klasse, die ich nicht erkannte. Arsenal war durch CEO Ivan Gazidis vertreten, auch Chips Keswick habe ich erkannt, und der rare Stan Kroenke war aus den USA eingeflogen.

Unnötig zu sagen, dass das deutsche Modell, wo die Clubs zumeist niemand oder aber gewissermaßen sich selbst "gehören", vorzuziehen ist. Und so lief auch die Siegeszeremonie nach dem Sieg des FC Bayern über Borussia Dortmund anders ab: Ich würde sagen, demokratischer und mit flacher gehaltenem Ball. Allerdings hat das englische Modell natürlich auch seine unterhaltsamen Seiten. Es ist aber eine Form von Entertainment, von der dubiose Zeitungen wie die Daily Mail leben, die viel Coverage aus dem jeweils neuesten Narren gewinnt, den die Globalisierung durch die englische Provinz treibt, wo Clubs in Entsprechung zu den Launen von Emporkömmlingen durch die Spielklassen purzeln.

Im Arsenal-Clubfernsehen war heute selbstverständlich ein hoher Feiertag. Es gab zahlreiche großartige Einblicke in den Jubelparcours, der unmittelbar nach dem Spiel noch auf dem Feld begann, und der heute mit einer Parade durch Islington (bei strahlendem Wetter, anders als in Berlin) seine Fortsetzung fand. Man sieht dann zum Beispiel, dass Mesut Özil auch in solchen Situation nicht leicht aus sich heraus geht, während Per Mertesacker seine Länge immerhin dazu nützte, um Arsène Wenger eine Champagnerdusche zu verabreichen. Die aber, eh klar, von Poldi ausging. Bier war wohl keines da, obwohl Budweiser den FA Cup sponsert. Aber das ist ein Flaschenbier, das müsste man für eine richtige Dusche erst mühsam zusammenleeren.

Arsenal hat wieder einen Titel. Das Stichwort, das danach mehrfach fiel, war "platform". Es gibt etwas, auf das sich aufbauen ließe. Dazu braucht es aber einen besser balancierten Kader und generell Veränderungen in vielen Bereichen. Vielleicht nimmt der allwissende Trainer ("Arsène knows") den Erfolg ja auch für sich selbst als eine Plattform für einen Versuch, noch einmal alle Bereiche seiner Arbeit auf den Prüfstand zu stellen. Dann wäre das vielleicht wirklich der wichtigste Titel.

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