von Marxelinho

Gedeih und Verderb

Nico Schulz wechselt also zu Borussia Mönchengladbach, das heißt auch: zu Lucien Favre, zu Ibrahima Traore. Die Personalie schmerzt, weil sie zeigt, dass Hertha derzeit nicht einmal als "Ausbildungsverein" wahrgenommen wird, jedenfalls nicht von einem der wenigen Spieler im Kader, die mit Fantasie behaftet waren. Sie schmerzt auch deswegen, weil Lucien Favre, der zu Recht große Wertschätzung genießt, in Berlin als Bundesligatrainer entdeckt wurde. Doch es gelang nicht, ihn zu halten. Michael Preetz entließ ihn.

Es ist müßig, an diese erste bedeutende Amtshandlung des inzwischen langjährigen Hertha-Managers zu erinnern, der mit der Bestellung von Friedhelm Funkel damals die Weichen auf Stagnation (und, wie sich erwies, Abstieg) stellte. Der Abgang von Nico Schulz, der mit geschickten Ablenkungsmanövern für die "Lolitapresse" (Klaus Ungerer) drapiert war, macht uns nur klar, wie weit unten Hertha in der symbolischen Rangordnung steht. Es gibt ja neben den nackten Zahlen auch immer so etwas wie einen gefühlten Tabellenstand, eine unausgesprochene Hierarchie der Liga, und da hat sich in diesem Sommer kaum etwas getan, was dem Standort Berlin zuträglich gewesen wäre.

Man mag einwenden, dass Vladimir Darida und Mitchell Weiser nicht gekommen wären, wenn sie nicht Hoffnungen auf eine gedeihliche Entwicklung hätten. Das stimmt, in beiden Fällen steht aber die persönliche Karrierewette in etwa in einem ausgeglichenen Verhältnis zu der Wette, die Hertha derzeit als Club verkörpert - Konsolidierung von Bundesligafußball und Versuch, den Anschluss an die Entwicklung des Spiels nicht zu verlieren.

Nico Schulz hat vielleicht mehr drauf, das ist jedenfalls die Implikation, die aus dem Umstand erhellt, dass er in einen sehr dicht besetzten Kader wechselt, in dem er wohl eher als Linksverteidiger gesehen wird und eine Perspektive hat. Bei Hertha musste er das Gefühl haben, dass Plattenhardt gesetzt ist und er links offensiv nur die Bank für eine ungarischen Neuzugang warmhalten soll. Wenn schon auf Chancen lauern, wird der sich gedacht haben, dann lieber bei einem Verein, die tatsächlich kontinuierlich Spieler besser macht.

Was die Entwicklung des Spiels allgemein anlangt, so hat das Los für Hertha eine beziehungsreiche Begegnung an den Anfang des diesjährigen Spielbetriebs gestellt: Augsburg ist das Spitzenteam unter den "overachievern" der Liga, also denen, die mehr aus ihren Standortfaktoren machen, als in diesen angelegt ist. Hertha hingegen zählt mit dem HSV und Stuttgart zur Elite der "underachiever", also den Clubs, die deutlich unter ihren (wie auch immer genauer zu bestimmenden) Möglichkeiten bleiben.

Konkret haben die Spiele gegen Augsburg meistens gezeigt, dass man in der Bundesliga auch mit sehr beschränkten spielerischen Mitteln in die Nähe der europäischen Ränge kommen kann. Weinzierl lässt einen konservativeren Favrismus spielen, einen Stil, der häufig an Hertha in der Saison 2008/2009 erinnert. Da Hertha zuletzt meistens die kreativen Mittel (und die individuellen Qualitäten) fehlten, um da etwas Konstruktiveres entgegenzusetzen, waren das oft öde Angelegenheiten. Insofern dürfen wir gespannt sein, ob von der neuen Spielkultur, die Pal Dardai verspricht, schon etwas zu sehen sein wird. Nicht zu reden von einer Chance alle sieben Minuten.

Personell interessiert vor allem ein Aspekt: Wohin wird er Darida stellen? Sollte Brooks bereits in einer Verfassung für die Startelf sein, müsste Lustenberger nach vorne rücken, zu Lasten von Skjelbred vermutlich, es sei denn, wir sehen Darida auf der Zehn. Dafür spricht, dass Schulz links nicht mehr zur Verfügung steht, sodass Stocker dort wohl heute gesetzt ist.

Die Leistung in Bielefeld war in der zweiten Halbzeit jedenfalls dazu angetan, den gröbsten Defätismus zu entschärfen. Mann des Spiels war allerdings Nico Schulz, obwohl der nur kurz auf dem Platz stand. Es war sein letzter Beitrag zu dem ewigen Stückwerk bei Hertha BSC.

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