von Marxelinho

Schärfe im Abgang

Es waren denkwürdige zehn Minuten, mit denen Hertha am Samstag einen 2:1-Sieg beim VfB Stuttgart besiegelte. Bis zu diesem Zeitpunkt sah vieles nach einem dürftigen Remis aus, daran änderte sich auch nichts, als Jos Luhukay Sandro Wagner einwechselte, der ja weder eine Reputation als Edeljoker nach als Torgarant hat. Als dann auch noch Brooks für Ndjeng kam, konnte man den Coach nicht mehr wirklich missverstehen. Ein Punkt musste eben reichen, mehr ist für Hertha im Moment nicht drin gegen eine ziemlich im Strudel steckende Mannschaft. Doch dann gab es noch einmal Freistoß von halbrechts. Cigerci zirkelte gekonnte auf den Elfmeterpunkt, und Wagner setzte sich gegen Schwaab durch. Kopfball, unhaltbar, ekstatischer Lauf zum Fankäfig. Es blieben ein paar Minuten, in denen Wagner es schaffte, zweimal verwarnt zu werden. Er musste vorzeitig vom Platz. Nachher konnte der Coach auch nicht erklären, warum es derzeit "auswärts uns besser abgeht als zu Hause". Diese schöne Formulierung aus der Kategorie Jospeak weist allerdings in die falsche Richtung. Von Abgehen kann keine Rede sein, sieht man einmal ab, dass ein später, glücklicher Sieg natürlich kurzfristige Entladungserscheinungen mit sich bringt. Hertha hat jetzt 34 Punkte, hat damit das Saisonziel ziemlich sicher erreicht, und spielt zur Zeit auch so, als wüsste die Mannschaft nicht genau, ob es das tatsächlich schon gewesen sein soll. Das Leben im engen Viererpulk um Platz 6 erlaubt keine Verschnaufpause. Erlaubt es aber auch ein wenig Spaß am Spiel. Nicht viel, wenn man den Eindrücken der letzten Wochen glaubt. Hertha scheint der Sache immer noch nicht zu trauen, aus nachvollziehbaren Gründen, denn erst der Sieg in Stuttgart hat die Rückrunde in halbwegs normale Bahnen gelenkt. Gegen Freiburg wäre ein Heimerfolg günstig für die weitere Normalisierung. Denn die Mannschaft erweckt derzeit ein wenig den Eindruck, als wäre sie gehemmt. Gegen Stuttgart fiel Skjelbred kurzfristig aus, er wurde durch Schulz ersetzt, Allagui spielte zentral in einem 4-4-2, das Hertha so eher selten probiert und das auch eher in der Defensivarbeit,also beim Anlaufen, zur Geltung kam. Nach einem Gestocher im Strafraum kam Hertha zu einem frühen Führungstreffer durch Kobiashvili. Ramos hatte es verstanden, ihm den Ball irgendwie passend zu servieren. Dann geschah eine Halbzeit lang kaum etwas, knapp vor der Pause glich Stuttgart aus. Man muss wohl von einem weiteren Gegentreffer nach Eckball sprechen, auch wenn Kraft dieses Mal den Corner entschärfen konnte, der Ball kam aber zu Boka, der von außerhalb des Sechzehners mit einem satten Schuss zuschlug. In Halbzeit zwei gab es ein paar Szenen mit Potential, am meisten gefiel mir ein Lauf von Cigerci über rechts, der das Zeug zu einem Chinedu-Ede-Gedächtniskonter gehabt hätte (ich beziehe mich auf ein Spiel gegen den BVB im November 2006). Fredi Bobic ereiferte sich über ein paar halbstrittige Entscheidungen des Schiedsrichters, und dann kam Sandro Wagner. Ein Remis wäre gerechter gewesen. Vor fast zwei genau Jahren wurde Hertha in Stuttgart mit 0:5 abgefertigt. Es war das Spiel, das Michael Skibbes kurzen Einsatz als Chefcoach besiegelte, und es war eine wichtige Station auf dem Weg zum Abstieg. Dieses Mal waren die Rollen nicht vollständig, aber doch in Ansätzen vertauscht. Stuttgart spielt ratlos, Hertha immerhin weiterhin sehr kompakt und dieses Mal auch effizient. Was fehlt, ist ein bisschen Esprit. Hertha spielt gerade eher postdramatisch, die Leistung der Mannschaft passt zu der Sprachregelung, dass das Wort Europacup nicht in den Mund genommen werden darf. Es spricht aber nichts dagegen, davon zu schweigen, und Taten sprechen zu lassen. Dafür müsste aber der kombinatorische Ehrgeiz ein bisschen entwickelt werden, die generelle Kompaktheit bedarf einer gelegentliche produktiven Entfesselung. Im Moment läuft Hertha Gefahr, zu einer etwas faden Mannschaft zu werden. Doch das liegt wohl an der Phase der Saison. Und selbstverständlich ist dieser leichte Ennui, den ein 1:1 besser zum Ausdruck gebracht hätte, wünschenswerter als jedes Vabanque. Die Karte Sandro Wagner - der Mann, "der jedes 27. Spiel einmal trifft", wie ich nach dem Spiel einen Hertha-Fan sarkastischen Beifall zollen hörte - ist hiermit ausgespielt. Als Ersatz für Adrián Ramos kommt er ja nun wirklich nicht ernsthaft in Frage. Gegen Freiburg wird Hertha nicht viel übrig bleiben, als ein Spiel zu machen.

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