von Marxelinho

Zündstufe Christbaum

Pal Dardai ist nicht nur allem Anschein nach ein sehr guter Trainer, sondern auch ein begnadeter Formulierer: Wenn man von seinen inspirierten Stellungnahmen auf die sogenannten Kabinenpredigten rückschließen darf, dann wäre man da eigentlich gern dabei, denn das muss große Unterhaltung sein. Nicht zu vergleichen mit dem lahmen, xenophoben Einpeitschen, das wir von Jürgen Klinsmann aus einem gewissen Dokumentarfilm kennen, eines der wenigen Dokumente von dieser rhetorischen Übung, die fast so arkan ist wie die Strategiesitzungen im Kreml.

Gestern hat Dardai schon vor dem Spiel gegen Mainz gesagt, dass dieses Halbjahr einer Spielphilosophie gewidmet war, die erfolgreich gezündet hat: "Und die brennt jetzt!" Das kann man wohl sagen. Sie brennt lichterloh, wenn man auf die Tabelle blickt, sie brennt kontrolliert, wenn man sich die Spiele anschaut. Gegen die auch nicht schlechte Hinrundenmannschaft von Mainz 05 gab es ein ungefährdetes 2:0, das von einer einschüchternden Dominanz geprägt war. Hertha konnte sich den Luxus leisten, die enormen Ballbesitzvorteile großzügig an die Innenverteidiger weiterzureichen, Langkamp hatte die meisten Kontakte, es ging oft hinten herum, aber niemals so, dass dadurch das Spiel erschlafft wäre.

Zeichenhaft für die allgemeine Flexibilität war der Auftritt von Kalou, der schon früh in der eigenen Hälfte übel gefoult wurde, als er sich in die Spieleröffnung einschaltete. Er ging einmal mehr weite Wege, hatte spät dann noch im eigenen Sechzehner einen wichtigen Defensivzweikampf, und er schoss ein Tor. Er war damit für mich, trotz starker Konkurrenz in Vedad Ibisevic, der Mann des Spiels, wenn nicht der Saison. Denn irgendwie sind das auch zwei Seiten einer Münze: Hertha hat eine Mannschaft hinbekommen, die Kalou eine große Bühne bieten kann, worauf er mit der Demut eines Superprofis reagiert, indem er sich großartig einbringt. Es könnte einem ganz schwindlig werden angesichts all dieser positiven Rückkopplungen.

Hertha hatte in dieser Rückrunde verschiedentlich so etwas wie konstellative Fortune. Es mag jetzt hart klingen, aber die Verletzungen von Kraft und Pekarik zählten wesentlich dazu. Von außen hat man das Gefühl, dass sich die Mannschaft bei Jarstein besser (weil allgemeiner) aufgehoben fühlt als bei dem genialen Keeper und mediokren Fußballer Thomas Kraft. Das häufige Hintenherumspielen geht mit Jarstein viel, viel besser. Pekariks Ausfall brachte Weiser auf die Position, auf der er am besten ist, Regäsel deutete an, dass er da mitmischen möchte. Inzwischen hat Hertha, nachdem auch Brooks integriert wurde, eindeutig eine Stammelf. Das bringt Härten mit sich, die man nicht unterschätzen sollte: Cigerci, Stocker oder Baumjohann sind exzellente Fußballer, die derzeit kaum benötigt werden. Oder vielleicht doch, denn Haraguchi zum Beispiel wirkte gestern zerstreut.

Unweigerlich müssen wir uns an das Jahr 2008/2009 erinnert fühlen, als Hertha unter Lucien Favre auf "Champions League"-Kurs ging. Damals hatte man allerdings oft das Gefühl, dass die Mannschaft am Limit spielte. Derzeit wirkt es eher so, als würde sie das Limit immer weiter nach oben schrauben. Das wird sich schon mit dem Auftritt der erstarkten und traditionell unangenehmen Augsburger in vier Wochen bestätigen müssen, idealer, weil aussagekräftiger könnte die Rückrunde kaum starten. Im Sommer, als niemand von uns ahnen konnte, was dieses Halbjahr hergeben würde, wies der Arbeitssieg gegen Augsburg die Richtung, ohne noch die Qualität ahnen zu lassen, die der anfangs durchaus fehlerhafte Darida zum Beispiel erst allmählich entwickelte, weil die Mannschaft dazu die Rahmenbedingungen bot.

Das Spiel gegen den FC Bayern war die einzige wirklich negative Ausnahme, da passten weder die Taktik noch die Einstellung. Die Niederlage gegen Gladbach lag hingegen möglicherweise daran, dass Hertha schon ein wenig zu ungeduldig war. Danach passte das dann meist sehr gut. Es gab durchaus die 1:0-Siege Marke Favre (Ingolstadt, Hoffenheim), das 8:0 aus den letzten drei Spielen inklusive Pokal zeigte aber auch deutlich, dass offensives Potential im gesamten Team steckt. Das Duo Plattenhardt/Weiser steht in diesem Zusammenhang für eine Modernität, die Hertha auf diesen Positionen noch NIE hatte. Wirklich niemals.

"Sieht nach Fußball aus": Das hat Pal Dardai mehrfach gesagt, wenn Hertha sich ein weiteres Mal bewährt hat in den letzten Wochen. Es sah lange Zeit davor eben nicht nach Fußball aus, sondern nach einem Versuch, das Spiel gleichzeitig zu verhindern und zu suchen - ein naturgemäß schwieriges, weil widersprüchliches Projekt. Nun sucht Hertha etwas, was klar erkennbar ist: Möglichkeiten, den Ball so laufen zu lassen, dass Torchancen entstehen. Die eigene Laufarbeit, die der des Balls zugrundeliegt, dient gleichzeitig der Entschärfung des Gegners. Dieses faszinierend komplexe Spiel wird von der Mannschaft, der wir anhängen, gerade ganz schön interessant und fast schon sehenswert interpretiert.

Kann man sich Weihnachten mehr wünschen? Keineswegs. Die 32 Punkte und das Viertelfinale schlage ich gern in Lametta und hänge sie den Touristen in Kreuzberg aus dem Fenster vor die Nase. Aber die Feinheiten des Spiels, die Beweglichkeit im Detail, die gute Ballbehandlung, das souveränen Kontrahieren der Mannschaft, das brennt. Und keine Stadionordnung kennt einen Paragraphen, der so etwas verbietet.

'

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Was ist die Summe aus 4 und 4?