von Marxelinho

Südfruchtfolge

Der Trainer von Eintracht Braunschweig hat das für seine Mannschaft sehr wichtige Auswärtsspiel in Berlin mit einer hübschen rhetorischen Finte versehen: Er hat Hertha als "Ananas-Club" bezeichnet. Die Begriff gilt nicht substantiell (also für immer und unter allen Umständen), sondern ist akzidentiell gemeint. Hertha geht gerade durch eine Phase des Südfruchtgenusses, es geht um nicht mehr viel, höchstens um eine Schale mit exotischem Obst, der Klassenerhalt ist seit dem vergangenen Wochenende auch rechnerisch sicher. Hertha hat jetzt noch drei Freispiele, so könnte man es auch sagen.

Für Braunschweig geht es hingegen um sehr viel. Es bestehen noch durchaus realistische Chancen auf den Relegationsplatz. Es spricht also alles für ein spannendes Spiel, denn die Ausgangslage sollte Hertha eigentlich entgegen kommen. Zwar können wir davon ausgehen, dass die Eintracht sich stark engagieren wird, zudem wird eine hohe fünfstellige Anzahl von Anhängern erwartet, schon den Zweitligabesuch vor einer Saison haben sie zu einer bemerkenswerten Demonstration von Leidenschaft genutzt.

Doch würde ich eher damit rechnen, dass Hertha sich von dieser Atmosphäre anstecken lässt. Die Mannschaft steckt ja seit Wochen in einem Grundordnungsdilemma. Sie kommt aus dieser Ordnung nicht richtig heraus. Sie schaltet nicht mehr so gut um wie noch vor einem halben Jahr. Man hat insgesamt den Eindruck, dass die Saison nicht nur Hertha ein wenig abgenutzt hat. Auch andere Mannschaften haben Schwierigkeiten, aus dem aufreibenden Betrieb noch einmal Inspiration zu erzeugen.

Die drei Duelle mit Eintracht Braunschweig seit 2012 hat Hertha allesamt recht überzeugend bestritten, zwei davon auch gewonnen. Dabei standen zwei Spieler im Zentrum: Ramos und Ronny, nur Cigerci konnte mit seinem ersten Treffer für Hertha auch etwas beisteuern. Ob Ramos heute schon wieder spielen kann, ist nicht ganz klar. Der Coach hat sich dazu in der Pressekonferenz eher vage geäußert.

Auch wenn Hertha in der Rückrundentabelle heute morgen noch ganz unten steht, ist es doch angebracht, sich für die drei ausstehenden Ananas-Spiele zu bedanken. Das Team und die Verantwortlichen haben den Fans für die spannendste Phase der Saison, und die mit dem besten Fußballwetter, drei Spiele geschenkt, auf die wir uns echt freuen können.

Postskriptum: Der Morgen beginnt mit der Nachricht, dass Tito Vilanova gestorben ist. Dass das Leben unfassbar grausam sein kann, ist unübersehbar, und Fußball wird da häufig zu Recht zu einer Nebensache. Für uns, die wir ihn nicht persönlich kannten, betrifft der Verlust aber nun einmal den Fußball. Den FC Barcelona, den er im Sinn hatte, konnten wir nicht mehr wirklich erleben, weil schon seine erste Saison von der Krankheit geprägt wurde. Vilanovas Tod beraubt uns auch insofern möglicherweise einer Geschichte, als Guardiola damit weiterhin eigentlich nur den destruktiven Mourinho als paradigmatischen Gegenspieler hat. Jürgen Klopp fehlen auf dieser Ebene des Prinzipiellen noch ein paar Meriten, also europäische Titel.

Vilanova und Guardiola, die lange zusammengearbeitet hatten, hätten vielleicht eine der bestimmenden Konstellationen des kommenden Jahrzehnts schaffen können. Wir werden es nicht wissen, und alle Lücken, die im europäischen Spitzenfußball konzeptionell und personell klaffen, kann Klopp nun einmal nicht gleichzeitig schließen. Zumal er, sollte er den BVB verlassen, auch eine riesige reißen würde. Um es ganz einfach: Es gibt einfach nicht genug absolute Toptrainer, um den Verlust von Vilanova nicht auch vor diesem Hintergrund besonders zu betrauern. Vielleicht wäre er ein mittelmäßiger Trainer geworden. Eher aber wirkte er, als hätte er das Zeug zu einem großen gehabt.

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