Vier Jahre sind im Fußball eine lange Zeit. Wir Fans von Hertha hatten zuletzt vier Jahre lang das Glück, die Betreuung unserer Lieblingsmannschaft in den Händen eines echten Herthaners zu wissen. Bei Pal Dardai konnte man schon während seiner Zeit als Spieler ahnen, dass er einmal als Coach oder in einer anderen verantwortlichen Funktion in Frage kommen würde. 2015 sprang er ein - schon damals war er kein Feuerwehrmann, sondern ein Versprechen für die Zukunft.
Diese Zukunft wird nun in diesem Sommer enden. Das hat der Verein heute bekannt gegeben. Die Rede ist von einer einvernehmlichen Entscheidung. Das deutet an, dass das Tischtuch damit nicht zerschnitten sein muss. Vielleicht kommt Dardai tatsächlich im Sommer 2020 wieder, um im Nachwuchsbereich weiterzuarbeiten. Für Hertha wäre das, gerade wegen seiner nun schon riesigen Bundesligaerfahrung, ein kaum zu überschätzender Gewinn. Bis dahin ist aber noch viel Zeit, und Angebote von anderen Clubs für eine Aufgabe in der Bundesliga sind absehbar.
Die Entscheidung ist schmerzhaft. Es hätte auch viel dafür gesprochen, sie erst im Mai zu kommunizieren. Das wäre aber bei den notorisch auf das Trainerkarussel fixierten deutschen Fußballmedien schwer durchzuhalten gewesen.
Bei aller Wehmut bin ich aber der Meinung, dass die Entscheidung richtig ist. Der Grund dafür liegt tatsächlich in den Ansprüchen, die Hertha BSC stellen muss. Allerdings sind diese anders zu beschreiben als mit den ollen Klischees von der Berliner Selbstüberschätzung.
Hertha hat vor Beginn dieser Saison einen einstelligen Tabellenplatz als Ziel ausgegeben. Das klang vorsichtig. Sieht man nun allerdings die Tabelle an, ist zu bemerken, dass die Vereine, die auf den Positionen eins bis neun stehen, allesamt untermauert haben, dass sie dort sein wollen. Konkret heißt das nämlich: dass sie de facto alle um Europa mitspielen (wollen), egal ob sie das ausdrücklich sagen oder nicht.
Entsprechend könnte man fragen: War das Ziel zu hoch gesteckt? Wenn man hier mit ja antworten wollte, wäre das eine Absage an das Prinzip der Entwicklung. Dann müsste man das Ziel mit Vermeidung des Abstiegskampfs bei gleichzeitiger Vermeidung der Spannungskonkurrenz angeben. Das wäre absurd für den Verein aus der Hauptstadt, der nicht länger so tun kann, als wäre er auf einer Ebene mit Mainz oder Augsburg.
Nein, das Saisonziel war richtig so gesetzt. Es ist auch das Personal vorhanden, es zu erreichen. Konkret bedeutet das aber, dass Hertha in die Hälfte seiner Spiele de facto mit dem Anspruch gehen muss, Favorit zu sein und sie nicht nur irgendwie zufällig, sondern willentlich (und wissentlich) gewinnen zu wollen.
Und das war genau der springende Punkt, an dem Pal Dardai das Saisonziel unterminiert hat. Er wollte letztendlich niemals den Außenseiterbonus aufgeben, hinter dem er sich als Trainer zu Beginn gar nicht verstecken musste, den er aber später länger beansprucht hat, als es der Sache zuträglich war.
Deswegen steht Hertha nun in seiner vierten vollständigen Saison dort, wo er die Mannschaft de facto haben will: in einer anspruchslosen Situation. Das ist umso bedauerlicher, als deutlich zu erkennen war, dass im Sommer etwas einstudiert wurde - Hertha hat Spielzüge und Muster drauf, aber es fehlt der Mannschaft an einem mentalen Repertoire, damit umzugehen. Das ist eine Schlüsselfrage für einen Cheftrainer, und an dieser ist Pal Dardai gescheitert. Bei Hertha, wohlgemerkt. Er ist offensichtlich in vielerlei Hinsicht eine große Begabung, und er kann noch viel erreichen.
Mit Hertha ist er zweimal in den Europacup gekommen, beide Mal waren das Saisonen, in denen Hertha tendenziell überbewertet war, wie sich im Europacup selbst dann ja auch gezeigt hat - da waren die Auftritte in einer Weise volatil, wie es kein Betreuerteam zulassen sollte.
Mit seiner letztlich doch immer wieder zu defensiven Grundhaltung (weit über die Spiele hinaus) hat er auch sein größtes Verdienst unterminiert: denn die Heranführung von jungen Spielern an die erste Mannschaft bringt nur dann etwas, wenn man aus dieser Mannschaft gleichzeitig ein Projekt mit Perspektive macht. Wenn das ausbleibt, werden sich die Erfahrungen mit den Boateng-Brüdern oder mit Nico Schulz wiederholen, und Hertha stärkt à la longue nur die Konkurrenz.
Konkrete Angelegenheiten wie die angeblich so sportwissenschaftlich exakte Belastungssteuerung und Ähnliches muss Michael Preetz mitbedenken bei der nun wahrscheinlich härtesten Entscheidung seiner Karriere. Denn er wird viele Fans gegen sich haben, und er muss nun jemand präsentieren, der für die Ansprüche steht, die Pal Dardai - zuletzt vor allem in dem Pressegespräch nach der Niederlage gegen Düsseldorf - zu vehement zurückgewiesen hat.
Hertha hat in den Jahren seit dem Wiederaufstieg eigentlich nur einmal eine ähnliche Situation erlebt. Damals überraschte Berlin die Liga mit Lucien Favre. Ob der Markt dieses Mal eine ähnliche innovative (man muss leider sogar sagen: disruptive) Figur hergibt? Ich bin gespannt. Und ich bin Pal Dardai dankbar für viele Spielzüge, auf denen sein Nachfolger schon aufbauen wird können.
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