Ausgeschlenzter Schlendrian

In der dritten Minute des Heimspiels gegen Schalke gab es gestern ein kleines Ereignis mit Seltenheitswert. Marvin Plattenhardt spielte einen Pass mit dem rechten Fuss, in das zentrale Mittelfeld, das eigentlich aus seiner Warte immer eine interessante Zone sein sollte. Da er aber, wie die meisten Fußballer, konsequent einbeinig ist, verzichtet er üblicherweise vollständig auf Zuspiele in Richtung Mittelkreis, obwohl das ein probates Mittel wäre, das Hertha-Spiel flexibler und kreativer zu machen.

Ich vermute einmal, dass das für Fußballer auch eine Abwägungssache ist. Sie sind eben auf einen Spielfuß konditioniert, der linke von Plattenhardt kann ja auch eine Waffe sein. Würden sie sich auf Beidbeinigkeit trainieren, fürchten sie vielleicht um ihre Waffe. Man muss dann allerdings nur einmal ein wenig genauer darauf achten, wie zum Beispiel Julian Brandt mit beiden Füßen Pässe aus dem Gelenk schüttelt, um zu sehen, wie sich ein lebendigeres Kombinationsspiel entwickeln ließe. Beim BVB hapert es dann aber oft wieder an anderen Sachen.

Marvin Plattenhardt hat sich gegen Schalke danach wieder im wesentlichen auf seinen Stammfuß beschränkt, war aber einer der Aktivposten in einer insgesamt deutlich agileren Hertha-Mannschaft, die schließlich mit einem 3:0 den Pflichtsieg gegen Schalke ablieferte. Pflichtsieg deswegen, weil auf die erste Mannschaft, gegen die S04 nach so langer siegloser Serie wieder gewinnen wird, eine ordentliche Blamage wartet. Und Hertha hat das ja durchaus drauf: störrisches Verweigern vor dem Erfolg wie das Turnierpferd vor einem mittelhohen Blumenarrangement, hinter dem das Hindernis versteckt ist.

Man würde ja gern einmal mit einem Psychodetektor so ein Spiel abtasten, wie das gestern, das ungefähr zwanzig Minuten brauchte, bis Hertha bemerkte, dass der übliche Stiefel nicht so interessant ist. Spürt man da von Mann zu Mann die Verunsicherung des Gegners, springt da etwas über von Tragik oder Aufbegehren? Kann Uth ein Spiel verwandeln? Und in welche Richtung? So was kann nicht einmal Opta erfassen, dabei sind das sicher auch physische Prozesse.

Hertha hat jedenfalls die zweite Hälfte der ersten Halbzeit dazu genützt, Schalke in die Schranken zu weisen, und für sich selbst einen Anreiz zu schaffen: es geht auch ohne Phlegma, ohne Schlendrian, es geht sogar besser so, denn Fußball kann ja auch Spaß machen. Sogar auf einem neu verlegten Rasen wie im Olympiastadion, der in anderen Stadien wohl eher unter der Kategorie Holperzone liefe.

Wegen der neu aufgestellten Innenverteidigung (Alderete und Stark wegen Verletzung von Boyata und Zurückstufung von Torunarigha) spielte Tousart als Sechser, Guendouzi und Darida waren in Ermangelung eines ausgeprägten Flügelspiels die Spielgestalter. Anfangs sah das durchaus noch unbeholfen aus: wenn Tousart sich bei Spieleröffnung auf die Liberoposition zurückfallen lässt, sich im Mittelfeld aber alle verstecken, und die Außenverteidiger weit in den Deckungsschatten aufgerückt sind, lässt sich halt kein Spiel eröffnen. Da ist eine taktische Maßnahme dann nicht einmal bis zum ersten Schritt, geschweige denn bis zu einem angestrebten Ende durchdacht worden.

Irgendwie kam dann aber doch so ausreichend Dynamik ins Hertha-Spiel, dass Schalke sich in seine fragilen Bestandteile auflösen konnte. Darida war besonders produktiv, er war der bessere Lukebakio und sogar eine Art Dilrosun, abzüglich unnachahmlicher Einszueins-Finten. So kam Hertha zu einer Tordramaturgie, die für solche Spiele typisch ist: ein Guendouzi-Schlenzer nach Herstellung von Chaos im Schalke-Strafraum, ein Cordoba-Schuss nach mustergültiger Rückgabe von der Grundlinie, ein perfekter Piatek-Minikonter nach vertikalem Chipball vom Darida (Gustostückerl), und es hätte wohl das 4:0 durch Piatek auch noch zählen müssen. (Bisschen komischer Moment übrigens im Fernsehen: hatte Sky da einfach die Bilder nicht, sodass der VAR auch nicht nachschauen konnte? Eine richtige optische Überprüfung blieb aus.)

Von einer Spielanlage ist Hertha nach wie vor ein Stückchen entfernt. Gegen Schalke hat es aber gereicht. Und das neue Jahr beginnt dadurch mit Optimismus.

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