Das Stenogramm zum Heimsieg gegen den VfB Stuttgart: Redlich erarbeitet, schließlich verdient, und doch glücklich. So in etwas stellte sich mir die Sache dar, in Toronto vor einem Rechner sitzend, das Bild aber gut scharf. Hertha hat eine der Reformmannschaften der Liga bezwungen, immerhin hat Stuttgart mit Alexander Zorniger einen der viel beachteten Konzepttrainer verpflichtet, um damit einen Neuanfang zu schaffen. Die Niederlage gegen Hertha ergibt nach vier Runden: null Punkte, Tabellenplatz 17, vor dem unerwarteten Krisenteam aus Gladbach, von dem man eigentlich erwartet hatte, dass es in dieser Saison den nächsten Schritt von einer Reformmannschaft zu einer etablierten machen würde.
Bei Hertha vollzieht sich der Umbruch diskreter, er steht nicht ausdrücklich unter einem Label, sondern kann noch als vorsichtige Aufbauarbeit nach einem eineinhalbjährigen, immer noch recht schwer erklärlichen Stillstand verstanden werden. Und so war heute auch das Spiel: gute Ansätze wechselten mit deutlichen Problemen in der Defensive ab, die zweite Halbzeit war allerdings relativ souverän.
Wegen der Verletzungen von Pekarik und Brooks spielte Lustenberger in der Innenverteidigung, seine frei gewordene Stelle im Mittelfeld nahm Stocker ein, wobei sich später im Spiel erweisen sollte, dass wir künftig mit vielen Varianten rechnen können - Herthas Kader ermöglicht flexible Formationen. Mitchell Weiser, der als Rechtsverteidiger spielte und defensiv durchaus Probleme hatte, leitete den frühen Führungstreffer mit einem schönen, kurzen Pass von rechts auf Haraguchi ein, der Japaner befand sich halbrechts im Strafraum, versetzte Hlousek, und tunnelte Vlachodimos.
Wichtig ist hier allerdings auch die Vorgeschichte: Zu der Situation rechts vorne kam es, weil davor einmal eine schöne, vertikale Umschaltbewegung gelungen war, mit Skjelbred als Nahtstelle, der im zentralen Mittelfeld schön angespielt wurde, und offensiv weiterleitete. Das war schnell, elegant, und brachte Weiser in eine gute Position, die er dann allerdings erst mit der kleinen Verzögerung durch einen Einwurf produktiv machen konnte.
Schon davor und danach ließ Hertha allerdings deutlich zu viel zu, sodass schließlich durch einen, allerdings unberechtigen Freistoß (es gab davor ein Foul gegen Beerens) der Ausgleich fiel: Niemand interessierte sich für Sunjic im Strafraum, Lustenberger wäre am ehesten in der Lage gewesen, einzugreifen, blieb aber stehen. Kopfball, keine Chance für Kraft.
Der Kapitän machte die Sache kurz vor der Sache mit einem schönen Distanzvolley wieder gut: er verwertete einen zweiten Ball von der Strafraumgrenze aus. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ibisevic bereits den verletzten Beerens ersetzt.
In der zweiten Halbzeit kam es dadurch zu einer bemerkenswerten taktischen Konstellation, denn Kalou konnte auf der von ihm bevorzugten Position als Zehner spielen. Bei einem wunderbar eingeleiteten Konter war er allerdings als Frontmann gefragt, es zeigte sich, dass er schon ziemlich langsam ist. Von ihm gab es heute ein, zwei hübsche Pässe, er lief auch mehr an, produktiv wurde er nie.
Das größte Interesse an der insgesamt vor allem durch Arbeit bestimmten zweiten Halbzeit verdienen die beiden weiteren Wechsel. Sie deuten an, dass das Spiel von Hertha mit dem vermutlich zunehmenden Selbstbewusstsein wirklich interessant werden könnte. Als Stark zu seinem ersten Einsatz kam, blieb Lustenberger in der Viererkette, und Skjelbred wechselte nach weiter vor, nicht Darida, der einmal mehr eher nach dem Spiel suchte, als dass er es schon richtig strukturieren hätte können. Dass Skjelbred nach vorn rückte, war zweifellos einer Defensividee geschuldet, brachte aber auch Optionen. Der Norweger musste dann bald für Baumjohann Platz machen, und nun hatte Hertha einen echten Spielmacher, der wie immer überall war, und das Kleinklein mit Kollegen wie Weiser suchte, die dafür zu haben sind.
Richtig gefährlich wurde Hertha in der zweiten Halbzeit selten, Stuttgart wurde aber auch von Minute zu Minute uninteressanter, nicht zuletzt durch wirkungslose Wechsel. So reichte ein Samstagsschuss von Fabian Lustenberger, um Hertha zu sieben Punkten nach vier Spielen zu verhelfen. Das ist ein sehr ansprechender Start, vor allem aber gefällt, dass sich Optionen abzeichnen. Der engere Kader wirkt homogen, die Auswechslungen machen Sinn, Ibisevic werden wir später beurteilen als nach diesen ersten Versuchen gegen den Ex-Club.
Mann des Spiels: Genki Haraguchi. Brachte sich überall gut ein, machte ein schönes Tor, und arbeitete sehr gut defensiv. Er deutet am stärksten an, dass in dieser Hertha 2015 auch ein künstlerisches Temperament steckt. Anders als Kalou ist er aber ein kompletter Spieler.
Die Ostkurve hatte vor dem Spiel einen Kartentrick nahegelegt: nicht das As sticht, sondern die Dame. Die alte Dame. So wie Hertha das in diesem späten Sommer spielt, hat das weniger von Poker, als von Patiencen. Heute ist da etwas sehr schön aufgegangen.
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