Daumenkino

Wenn es eine Blau(weiß)pause für eine spielende Hertha in dieser Rückrunde braucht, dann würde dieser Treffer schon ganz gut passen: Gleich nach der Pause, nach einer ersten Halbzeit, an deren Ausgang schon zwei interessante Situationen über rechts zustandegekommen waren, bringt Davie Selke Hertha nach einer Kombination über 12 Stationen in Führung. Ein Tor, an dem fast die ganze Mannschaft beteiligt war.

12 Sekunden nach dem Anstoß bekommt Skjelbred nach einer ungenauen Kombination des BVB den Ball. Er legt zurück zu Lustenberger, dem nicht viel anderes übrigbleibt, als den Ball nach vor zu schlagen. Weigl bringt auch nicht mehr zuwege als einen Rebound, der kommt zu Stark, und wieder geht es in die andere Richtung, nun aber mit einem entscheidenden Unterschied: Duda, nebenbei immer so etwas wie der Manndecker von Weigl in diesem Spiel, steht besser zum Ball und legt ihn gut und kurz zurück zu Skjelbred, der nun einen offensiven Pass spielen kann.

Er öffnet das Spiel nach links, bezieht Kalou ein, der zieht ein paar Gegner auf sich, spielt zurück zu Skjelbred, der nun mit ein paar schnellen Schritten entscheidenden Raum gewinnt, nur ein paar Meter, und er spielt dann auch einen Querpass zu Maier, der nun die Möglichkeit zu einer Seitenverlagerung hat. Noch ist weiterhin nichts gefährlich, wir sind im Mittelfeld, allerdings schon in der Hälfte des BVB. Maier spielt hinaus zu Weiser, der tauscht den Ball einmal mit Lazaro, und mit einer geschickten Ballmitnahme (gar nicht ohne bei dem holprigen Boden im Oly an diesem Abend) ist Lazaro plötzlich rechts draußen vertikal unterwegs.

Ondrej Duda, der am Anfang der ganzen Bewegung stand, wartet nun in idealer Position auf den Doppelpass, und Lazaro bekommt den Ball so perfekt zurück, dass er einen höchst wirksamen Flachpass an den Fünfmeterraum spielt (kurz vor der Pause hatten Maier und Lazaro in vergleichbarer Position noch keinen sinnvollen Ball zustandegebracht). Im Zentrum lässt Selke sich gerade so weit nach außen abdriften, dass er den Ball mustergültig gegen die Laufrichtung verwerten kann (Sokratis kommt nicht an den Ball, obwohl er ihn fast hautnah vorbeiflitzen spüren kann).

Wer war nicht involviert? Nur Thomas Kraft und Marvin Plattenhardt. Sicher war der BVB noch nicht ganz wach in diesem Moment, aber vermutlich war es gerade die latente Trägheit der ganzen Aktion, die allerdings von perfekten Beschleunigungen geprägt war, die dafür sorgten, dass das alles so gelingen konnte. Eine Teamaktion, die man sich am liebsten als Daumenkino ausdrucken würde. Fußball ist Inspiration mit 24 Entscheidungen in der Sekunde, hat schon Godard ganz richtig gesagt. Mein Mann der Aktion ist Per-Ciljan Skjelbred, der hier idealtypisch zeigt, wie ein Sechserachter (zu dem er erst durch Arne Maier geworden ist) das Spiel zugleich zusammennäht und auftrennt.

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Kommentare

Kommentar von Jörg |

Wie immer eine sehr gute Analyse, Deine Selbstvergewisserungs-Soliloquien helfen mir jedes Mal, das kommentierte Spiel besser zu verstehen und zu verdauen. Mich hat das Spiel gegen Freiburg an das gegen Mainz erinnert. Gegen Mainz hat Hertha auch eine halbe Stunde gefüllig gespielt, und dann wollte die Mainzer Mannschaft einfach die Punkte etwas mehr und hat die Herthaner in ihrer etwas unkonzentrierteren, weniger scharfen Spielweise zu Fehlern gezwungen. Freiburg dagegen war am Ende froh, einen Punkt mitzunehmen, und Petersen war nicht so gut drauf wie Quaison. Das Hertha-Spiel war nach 30 Minuten von einer klaffenden Lücke im Mittelfeld geprägt. Die Abwehr und das defensive Mittelfeld fand weiter vorn keine Abspielstationen. Die Angriffsreihe war zu weit entfernt und nicht in der Lage, sich frei zu laufen. Das wurde meines Erachtens etwas besser mit Darida und Duda, beide haben die Lücke geschlossen, dennoch war in der Angriffsreihe weiterhin niemand anspielbar. Im Vergleich zum Bayernspiel hat der Mannschaft die Schärfe gefehlt und der Wille, einen Ball zu bekommen, um eine entscheidende Aktion zu starten oder abzuschließen. Ibisevic hatte zwei sehr gute Chancen, ihm fehlten aber jeweils etwa fünf Zentimeter, die er näher am Tor hätte sein müssen, um den Ball ins Tor drücken zu können. Interessant fand ich, dass das Publikum zum Ende hin durch seine Pfiffe Lustenberger zu einem mehr nach vorn orientierten Spiel motiviert hat, das war ein schönes Beispiel dafür, wie nicht nur der Trainer sondern auch das Publikum in ein Spiel eingreifen kann. Dennoch meine ich weiterhin, dass man die derzeit in der Tat recht unattraktive Herthaspielweise nicht nur dem Trainer anlasten kann. Die nicht sehr ambitionierte Vorgabe des Managers war für diese Saison, in die Top 10 der Bundesliga zu kommen. Und ich finde das auch nicht falsch. Es gibt viele Mannschaften, die von einer ungewohnten Doppelbelastung von Europa League und Bundesliga überfordert werden, das ist vorher häufig nicht abzusehen. Und vor einigen Jahren war es ein running gag, dass Dieter Hoeneß einen Champions-League-Platz für Hertha einforderte und immer nur ein zweistelliger Tabellenplatz erreicht wurde. Zudem neigt der Berliner an sich zu großer Schnauze und Größenwahn (was ich auch gar nicht nicht unsympathisch finde, was aber zu Problemen führen kann). So bin ich bereit, unter diesen laschen, drucklosen, unattraktiven Spielen zu leiden und Hertha als Ausbildungsverein in einer Konsolidierungsphase zu sehen, und dabei nicht eine Dardai-muss-weg-Stimmung zu verfallen.

Kommentar von marxelinho1892 |

Danke für das Wort Soliloquien. Mir liegt gar nicht daran, gegen Pal Dardai Stimmung zu machen. Es ist nur wichtig, ihn kritisch zu begleiten. Und seine Bilanz nach drei Jahren ist eben deutlich gemischt mit einer allmählich klarer werdenden Tendenz, dass er möglicherweise Hertha niemals zu einem aktiven und längerfristigen Europacupkandidaten machen wird. Ich weiß, das ist sehr schwer, aber diese Saison ist die, in der Signale in diese Richtung angebracht gewesen wären (trotz des zurückhaltenden Top 10-Ziels). Ich meine erkennbare Entwicklungsschritte. Sie fehlen einfach (Andeutungen waren da, sind aber verschwunden).

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