"Hertha ist auch scheiße." Das war gestern der erste Satz zum Thema Fußball, den ich im schönen Freiburg zu hören bekam. Ich aß Pfifferlinge mit Spätzle, und dachte darüber nach, wen die Gruppe am Nebentisch wohl noch gemeint haben könnte. Wer ist - außer Hertha - auch noch "scheiße"? Von den Fans des SC Freiburg würde man ja eigentlich nicht erwarten, dass sie so über die eigene Mannschaft sprechen.
Auf dem Weg ins Schwarzwaldstadion bekam ich dann noch die eine odere andere Expertenmeinung mit, die Hertha eher in der Preisklasse der Heimmannschaft verortete, als bei den Großen der Liga. Leider trug das Spiel dann nichts dazu bei, diese Geringschätzung zu entkräften. Hertha hat keinen Nimbus. Hertha macht niemand nervös. Hertha ist ein dankbarer Gegner für Mannschaften wie den SC Freiburg, die sich derzeit eher so recht und schlecht abmühen.
Das 1:1 erschien mir dann insgesamt als ein angemessenes Ergebnis. Nach der schwachen ersten Hälfte beider Mannschaften gab es in der zweiten immerhin noch die eine oder andere Aufregung. Und Hertha fand nach einigen Einwechslungen dann doch noch in ein Spiel, von dem man schon den Eindruck haben konnte, die Mannschaft wäre unter Protest angetreten. Gegen die Mehrfachbelastung? Gegen die Chance, eine spannende Geschichte zu schreiben? Gegen jegliche Erwartungshaltung?
Auswärtsspiele in kleinen Stadien geben dem mitgereisten Fan manchmal die Gelegenheit, ein paar Beobachtungen zu machen, die sonst nicht möglich sind. So fand ich den desinteressierten Vortrag in Halbzeit eins nicht mehr ganz so rätselhaft, nachdem ich der Mannschaft beim Aufwärmen zugesehen hatte. Da war schon deutlich zu sehen, dass niemand unter Spannung war.
Und so pendelte sich die Sache auch bald in eine Art Routine ein, mit dem Mittelfeldduo Lustenberger-Skjelbred als dem bestens bekannten Epizentrum der Gemächlichkeit. Zur Pause zogen die Betreuer eine erste Konsequenz und ersetzten Ibisevic durch Selke. Das hatte vorerst keine Folgen, auch deswegen, weil Niklas Stark im zweiten Spiel hintereinander maßgeblich durch schlechtes Zweikampfverhalten zu einem Gegentreffer beitrug. Freiburg ging durch einen Elfmeter in Führung, und Stark hatte danach noch zwei Aktionen, in denen er sich über eine zweite gelbe Karte nicht hätte beschweren dürfen.
Zusammen mit den gelben Karten gegen Leckie (früh!) und Ibisevic ergibt das insgesamt den Eindruck einer Mannschaft, die jetzt schon nicht mehr auf einem Fitnesslevel zu sein scheint, das es für eine gute Koordination zwischen Absicht und Ausführung braucht. In der Halbzeit wärmten sich die Ersatzspieler noch einmal auf, auch diese kleine Einheit sah bei allen reichlich nachlässig aus.
Selke blieb lange wirkungslos, das Gleiche galt für Lazaro, der für Duda kam. Ich hätte Kalou ausgewechselt, aber das hätte dem Spiel den besten Moment geraubt: die beiden Elfmeter kurz hintereinander. Den ersten jagte er über das Tor, mit dem zweiten hätte er sich dann schon einigermaßen legendär blamieren können, aber da blieb er cool.
Zu diesem Zeitpunkt war das Spiel endlich in Bewegung. Das hatte bei Hertha vor allem mit der Einwechslung von Arne Maier zu tun. Er war nur eine Viertelstunde auf dem Platz, machte aber eine Menge Unterschied. Schon eine seiner ersten Aktionen ließ das en miniature erkennen: ein Zuspiel, das Skjelbred oder Lustenberger mit Sicherheit zu einer Ablage (mit dem Innenrist) nach hinten genützt hätten, nahm Maier an, und dann legte er sich - mit einem winzigen Manöver, in einem Sekundenbruchteil - den Ball auf den Außenrist. Damit hatte er das Spiel vor sich. Eine Sache von zehn Zentimetern und dreißig Metern zugleich.
Es sind solche Kleinigkeiten, auf die es heute im Fußball ankommt, auch in den Zweikämpfen, bei denen das Urheberrecht an Fouls meist in einem Joint Venture zu suchen ist: der eine Spieler bietet ein bisschen was an, der andere macht was draus. Selke kann das viel besser als Ibisevic. Der irritable Kapitän hinterließ in Freiburg leider den deutlichen Eindruck aktuell mangelnder Konkurrenzfähigkeit. Im Verbund mit einer mehrfach zerstreuten Defensive und nicht gerade sprühenden Flügelspielern ergibt das eine Mannschaft, die auf der Suche ist. Immerhin haben Maier und Selke angedeutet, dass da noch mehr möglich ist.
Mit dem Remis kann Hertha halbwegs undramatisch in die nächste englische Woche gehen. Ich bin spätnachts nach Berlin zurückgekommen. Zwischen den vielen Spielen muss ich jetzt erst mal sehen, wo ich die normale Arbeit unterkriege.
Kommentare
Einen Kommentar schreiben