Drei Tage nach der großen Neuigkeit herrscht an Unklarheiten kein Mangel. Hertha hat einen Teileigentümer für die KGaA gefunden. 125 Millionen Euro seien bereits überwiesen. Tennor bekommt einen Sitz im Beirat und zwei im Aufsichtsrat.
Der Spiegel hat mit seiner Geschichte das Tempo vorgegeben, so sieht es jedenfalls aus. Hertha kommuniziert bisher nur mit einer dürren Mitteilung hinterher. Der Spiegel hatte allerdings guten Zugang zu Windhorst. Jedenfalls entsteht so nicht zwingend der Eindruck, dass Tennor und Hertha die Kommunikation über die Veröffentlichung der neuen Sachlage brillant miteinander abgestimmt haben.
Man muss daraus kein Vorzeichen machen. Es ist nur ein kleines Indiz dafür, dass Verein und Investor nicht notwendigerweise immer dieselben Interessen haben müssen. Bei der Kaderplanung für die neue Saison werden wir wohl schon in den nächsten Wochen ein wenig mehr auch darüber erfahren, wie Tennor sich Hertha vorstellt. Das Ganze wird begleitet von Boulevard-Medien, die jede Menge Ideen haben, was mit der "Windhorst-Kohle" geschehen könnte.
Ironischerweise kommt das Geld zu einem Zeitpunkt, da Hertha als Firma es dringend benötigt (die Außenstände, von denen Ingo Schiller bei der MV im Juni keine Silbe verlieren wollte, dürften nicht viel geringer sein als die 125 Millionen von Tennor). Sportlich hingegen sehe ich eigentlich keinen Bedarf für Riesenschritte. Es sei denn, man will die Strategie der letzten paar Jahre über den Haufen werfen, und Qualität nicht entwickeln, sondern zukaufen.
Über die personellen Perspektiven kann man nach der Saison 2018/2019 ein paar Feststellungen durchaus riskieren. Hertha hat, auch nach dem Abgang von Lazaro, einen hochinteressanten Kader, der ziemlich gut zu den sportlichen Ambitionen passt. Diese Ambitionen wird man auch 2019/2020 mit einem einstelligen Platz gut benennen können, denn es spricht alles dafür, dass alle Clubs in diesem Bereich auch als Kandidaten für europäische Plätze lange im Rennen sein werden. Saisonziel Platz 9 oder besser bedeutet also in strategischem Understatement: Das Ziel ist Europa, aber die Liga ist sehr eng.
Schon die Definition des Saisonziels wird also ein interessanter Punkt. Hertha blieb im Vorjahr aus verschiedenen Gründen unter Potential: Mentalität, Aufwand (Laufleistung), Verletzungshistorie (hängt womöglich mit Belastungssteuerung, also mit Aufwand, zusammen).
Die Spieler für eine bessere Leistung waren da. Es sind sogar jetzt schon teilweise zu viele.
Im Tor ist das Duo Jarstein (Nummer eins) und Kraft (verlässlicher Vertreter) so etabliert, dass inzwischen ein regelrechter Stau an Nachfolgern entstanden ist. Spätestens nächstes Jahr müsste Körber (Vertrag verlängert, ausgeliehen an Osnabrück) eine Chance bekommen, oder man zieht ihm gleich Smarsch vor.
In der Defensive geht es noch um einen denkbaren Transfer von Niklas Stark. Links kann man den Wettbewerb zwischen Mittelstädt und Plattenhardt durchaus fortsetzen. Rechts wäre natürlich interessant, einen mehrfach verwendbaren Spieler wie Lazaro (oder davor Weiser) zu bekommen, allerdings gibt es auch da mit Klünter einen Spieler, dessen Potential noch nicht wirklich erforscht ist. Im Zentrum ist die linke Seite für mich die entscheidende: Rekik sehe ich eigentlich nicht als Stammspieler, zudem muss sich die Sache mit Torunarigha in verschiedener Hinsicht klären. Das betrifft seine körperlichen Probleme, vielleicht braucht er aber auch einfach einmal nur eine Weile echtes Vertrauen. Er zählt zu den größten Talenten, die Hertha jemals hatte.
Im Mittelfeld herrscht nach der Verpflichtung von Löwen und der Verlängerung der Leihe von Marko Grujic ein dichtes, und spannendes Angebot. Sidney Friede ist derzeit noch schwer einzuschätzen, sollte aber auch ein Faktor sein. Skjelbred könnte unter Covic durchaus noch eine spannende Funktion als Mentalitätsreserve und gelegentlicher Absicherer bekommen. Duda war eigentlich immer besser, wenn er eher als Achter positioniert war, als auf der Zehn. Arne Maier sollte sich als Stammspieler weiterentwickeln.
Im Angriff haben wir eine analoge Situation zu der von Torunarigha. Selke ist ein potentieller Ausnahmespieler, den Hertha aber noch zu selten ins Spiel brachte. Da Ibisevic verlängert wurde, kommt auf Ante Covic da eine frühe Vorentscheidung zu: für meine Begriffe muss Selke in dieser Saison endlich die Gelegenheit bekommen, sich wirklich zu zeigen. Das hinge dann von ihm ab, aber auch von der Spielanlage, und von der Rolle, die Ibisevic zugeteilt bekommt. Bisher taucht Selke in Transfergerüchten nicht auf, das wundert mich ein bisschen. Vielleicht schnappt ihn ja noch jemand weg.
Auf den Flügeln hat Michael Preetz eine kleine Vorentscheidung getroffen, indem er Jastrzembski gegenüber Palko Dardai einen Vorrang eingeräumt hat. Das finde ich plausibel, und gibt Hertha links mit Dilrosun und Old Boy Salomon (und als Backups Leckie, der die Seite wechseln kann, oder Mittelstädt) gute Optionen. Wie gesagt, nicht für den Angriff auf die Champions League, aber für eine vernünftige Entwicklung auf Grundlage des bisher Erarbeiteten.
Somit bleibt als Wunschtransfer eigentlich nur: ein Mann für die rechte Offensivseite, der auch in einer Vierer- oder Fünferkette spielen kann, also in etwa das Profil von Lazaro und Weiser hat, und der Klünter nicht alle Chancen raubt. Sollte Niklas Stark wechseln, und vielleicht sogar auch, wenn er bleibt, wäre es vermutlich hilfreich, einen Innenverteidiger als Backup zu haben, idealerweise einen, der auf beiden Seiten spielen kann. Aber auch in diesem Fall könnte man dem eigenen Nachwuchs vertrauen: auf Florian Baak trifft diese Jobbeschreibung weitgehend zu. Boyata müssen wir uns erst anschauen.
Was ist mit dieser kleinen Zusammenschau sagen will: Hertha hat sich in den letzten drei, vier Transferperioden einen Status erarbeitet, der im Grunde genau wünschenswert ist. Die Frustrationen der letzten Saison hatten nicht per se mit dem Personal zu tun (es war ausreichend Qualität vorhanden), sondern damit, wie es eingestellt wurde.
Es braucht also im Grunde keine 80 oder 90 Millionen. Sollte Hertha tatsächlich Summen in dieser Höhe ausgeben, und womöglich sogar schon in diesem Sommer, dann wäre das auf jeden Fall das Ende der bisherigen Strategie. Ich persönlich fand Hertha selten so spannend wie im Vorjahr, und auch selten so frustrierend: denn es war so offensichtlich, dass mehr möglich war. Dieses Mehr jetzt einfach zuzukaufen, ist sicher auch eine Möglichkeit. Allerdings nicht unbedingt die spannendste.
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Kommentar von Jörg |
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