Der Hügel hatte keinen Gipfel

Der Konjunktiv ist die Religion der Fußballfans. Und seit gestern habe ich ein paar neue Glaubenssätze. Es sind natürlich hypothetische Sätze, und sie betreffen Details, an denen nur wirklich fromme Anhänger ein Interesse haben können. Also: Ich glaube, dass Arsenal sich gegen den AS Monaco noch durchgesetzt hätte, wenn Arsène Wenger gestern nicht Danny Welbeck, sondern Alexis Sánchez ausgetauscht hätte. Und ich glaube, dass Arsenals Aufgabe im Rückspiel nicht ganz so schwierig gewesen wäre, wenn im Heimspiel Szczesny im Tor gewesen wäre, denn der hätte den - wie sich schließlich erwies, uneinholbaren - dritten Gegentreffer verhindert. Mit den Fingerspitzen.

Bekanntlich hat Arsenal das Heimspiel gegen den AS Monaco, den ich für einen relativ leichten Gegner hielt, weil ich die konkrete Mannschaft überhaupt nicht kannte, mit 1:3 verloren. Auf eine wirklich vermaledeite Weise, denn Oxlade-Chamberlain, der den späten Anschlusstreffer erzielt hatte, ermöglichte in allerletzter Minute noch einen Konter, der das 1:3 brachte. Ospina, seit mehreren Wochen nun schon die neue Nummer 1 im Tor von Arsenal, streckte sich, war aber chancenlos. Szczesny, einer der herausragenden Keeper dieser Welt, ist auf solche Situationen spezialisiert. In anderen stellt er sich manchmal ungeschickt an, aber er ist insgesamt zweifellos besser als Ospina.

Die Aufgabe war also schwer genug vor dem Auswärtsspiel, das ich gestern in einer Wettkneipe des Frankfurter Bahnhofsviertels sah (insgesamt ein Ort, an dem ich freiwillig keine zehn Minuten bleiben würde, der zieht einen schon ganz schön hinunter, aber ich hatte keine Wahl). Und die ersten zehn Minuten waren auch furchtbar. Monaco, ein exzellentes Kollektiv, machte die Räume in einer Weise dicht, dass Arsenal fast schon auf Standmodus umschalten hätte können. Doch dann begannen sie zu arbeiten, und es wurde ein absolut großartiges, heroisches, insgesamt aber sicher nur für Hardcore-Fans wie mich begeisterndes Arbeiten "den Hügel hinauf", wie man im Englischen so schön sagt: an uphill struggle.

Arsenal brauchte drei Tore, und hatte Chancen für vier bis fünf. Aber so ist das eben gegen eine mit Haken und Ösen verteidigende Mannschaft: auch die Chancen haben noch Haken. Und so gelangen letztendlich eben nur zwei Tore. Giroud traf einmal, Ramsey dann rund zehn Minuten vor Schluss. Sah alles nach Matchplan aus, aber der letzte Anlauf war dann nicht mehr effektvoll genug. Zu diesem Zeitpunkt war einer der besten Spieler nicht mehr auf dem Platz: Danny Welbeck, den ich inzwischen fast so sehr liebe wie Alexis, hatte Theo Walcott Platz gemacht. Sánchez aber hatte ein unglückliches Spiel, er rieb sich auf, stand am Rand einer gelb-roten Karte, und war auch insgesamt am meisten aufgebracht, während Özil und Cazorla ihre undankbare Aufgabe, ein Bollwerk mit feiner Klinge auseinanderzunehmen, mit einer fast schon franziskanischen Schönheit versahen. Ich meine giullari di dio, wie bei Rossellini, nicht von ungefähr heißt Cazorla mit Vorname Santi!

Wie gesagt, ich würde gern einen Blick in das Paralleluniversum werfen, in dem Welbeck auf dem Platz blieb. Seine Läufe, seine Dribblings, seine Kombinationen mit Giroud waren die beste Waffe, die Arsenal aufzubieten hatte. Es ist eine fast schon wieder großartige Mannschaft, die da 2015 allmählich konkreter wird, wobei unklar ist, wann Arsenal die letzte große Mannschaft hatte. 2004, oder doch 2006, im "Champions League"-Finale?

Für mich ist und bleibt der Bruch das Spiel gegen Birmingham im Februar 2008, im dem Eduardo der Fuß gebrochen wurde. Seit damals sucht Arsenal nach der Selbstverständlichkeit, fast sehe ich sie schon wieder, aber die ungenügenden Leistungen in der "Champion's League" verunmöglichen natürlich jede plausible Rede von einem großen Team. Wenn ich mir jetzt die Formation von damals noch einmal ansehe, bin ich übrigens auch verblüfft, wer damals dabei war: Senderos würde ja niemand (mehr) für einen Weltklasseverteidiger halten, und Adebayor war auch nur bei Arsenal wirklich groß.

Es wird also vermutlich auf ein FA-Cup-Finale gegen Liverpool hinauslaufen, was diese Saison für Arsenal noch reizvoll macht. In der CL hat es einmal mehr an der Einstellung für ein entscheidendes Match gefehlt: das Heimspiel gegen Monaco hat Arsenal naiv bestritten. Wenger hat die Naivität der Mannschaft attestiert, aber er ist der Coach, der es seit Jahren daran mangeln lässt, die großen Spiele hinreichend vorzubereiten. So bleibt im Moment nur der Stolz darauf, dass Arsenal sich mit Würde verabschiedet hat. Selten habe ich die Mannschaft so gemocht wie gestern, als sie am Ende fast schon ganz oben auf dem Hügel stand. Nur den letzten Schritt machte sie bloß im Konjunktiv.

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