Der Rhythmus, bei dem man mit muss

Mit einer Bilanz von jeweils vier Punkten aus zwei Spielen, wie Hertha das seit Ende Februar hinbekommt, hat man am Ende der Saison 68, ist ziemlich sicher zur Teilnahme an der "Champions League" berechtigt, und darf sich nebenbei auch noch "invincible" nennen. Für diese Saison geht sich das nicht mehr aus, da hat Hertha zu spät damit begonnen, und auch nächstes Jahr muss das nicht unbedingt das Saisonziel sein.

Aber Valentin Stocker hat mit einem spektakulären Tor am Freitagabend gegen Hannover 96 dafür gesorgt, dass das Gesetz der kleinen Serie zumindest vorerst weiterhin gilt, und dass für die Serie der nächsten vier Spiele (zuerst Köln daheim, danach die "drei Großen", wie gestern jemand gesagt hat) ein anspruchsvolles Ziel im Hinterkopf zumindest präsent gehalten werden darf.

Hertha sammelt Punkte, vor allem aber sammelt die Mannschaft Erfahrungen mit sich selbst in einer Liga, aus der Hannover eher nicht absteigen dürfte. Es gab keinen Klassenunterschied zwischen den beiden Mannschaften, allenfalls Nuancen im mentalen und im dramaturgischen Bereich, und natürlich den großen Unterschied bei den Gegebenheiten: Hertha musste nicht auf Sieg spielen, für Hannover war das Unentschieden am Ende wie eine Niederlage. Auch aufgrund der Umstände des Zustandekommens.

Insgesamt war Hertha die bessere Mannschaft. Das zeigte sich vor allem in der halben Stunde vor der Pause, in der die anfänglich abwartende Haltung abgelegt wurde, und vorsichtige Ansätze zu einem Dominanzspiel entstanden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Hertha das auch unter Luhukay durchaus konnte, allerdings fehlte es dabei an der Balance - notabene im Auswärtsspiel in Gelsenkirchen.

Die Reporter von Sky in ihrer Fixierung auf "Stellen" (Harun Farocki) hoben anschließend vor allem auf zwei strittige Strafraumszenen ab, in denen Stocker und Haraguchi behindert oder gefoult wurden. Coach Pal aber unterstrich den Spielzug, der Stockers Eindringen in den Strafraum in der 42. Minute vorausging: ein schöner vertikaler Lauf von Skjelbred, der dann den Ball ins Loch spielte. Das war tatsächlich markant, denn Herthas Spiel wird erst dann lebendig, wenn Lustenberger und Skjelbred, die beiden zentralen Spieler, eine gute Flexibilität zwischen defensiven und offensiven Aufgaben finden.

Die Mannschaft ist insgesamt natürlich immer noch stark auf Kompaktheit konditioniert, schließlich steckt sie weiterhin im Abstiegskampf. In der zweiten Halbzeit rächte sich das dann beinahe, als nämlich Hannover zu immer mehr Standards kam, weil Hertha wieder zu abwartend spielte, am Ende standen 2:10 Ecken zu Buche. Und da Eckbälle nun einmal rein statistisch ein gewisses Risiko mit sich bringen, auch wenn Hertha sie insgesamt gut verteidigt, fiel aus einem auch ein Tor: Brooks kam zu spät, Schulz verwertete einen sekundären Rebound.

Danach war noch eine Viertelstunde Zeit, und nun deutete Hertha an, was insgesamt noch in der Mannschaft stecken könnte. Der Ausgleich war hochverdient, Valentin Stocker zahlt die Investititon zunehmend mit Extraqualität zurück.

Was sonst noch auffiel in einem Spiel, das Hertha auf eine sehr positive Weise "in transition" zeigte: Brooks gefiel mit einer fast schon lupenreinen Josip-Simunic-Gedenk-Hinterkopf-Rückgabe, ich bin geneigt, das als bewusstes Zitat zu sehen, mit dem der junge Abwehrspieler sich auf eine große Langzeitrolle für Hertha einstellt. Schulz vertrat Marvin Plattenhardt sehr gut, abzüglich der Standards, die nicht seine Aufgabe waren. Beerens wurde zu Recht ausgewechselt, er war nicht im Spiel, sein Repertoire wirkt doch stark limitiert.

Als Kalou zwischendurch länger behandelt werden musste, gab das auch Gelegenheit zu Besinnung. Dardai hat eine gute Stimmung und eine positive Energie in die Mannschaft gebracht, aber der Kader explodiert jetzt insgesamt natürlich nicht gerade vor Talent. Fiele Kalou aus, der gegen Hannover viel probierte, aber auch oft als Solist scheiterte, könnte die restliche Saison deutlich schwieriger werden.

Egal, er stand wieder auf, aber wir dürfen nicht vergessen, dass die gegenwärtige Stabilität auch einer relativ günstigen Personalsituation geschuldet ist: das Gerüst der Mannschaft ist intakt. Das kann sich jederzeit ändern, die Auswechslung von Lustenberger deutete auch auf einen Verschleiß hin, der nicht zu unterschätzen ist.

Als Fan bleibe ich misstrauisch gerade dann, wenn mir die Tendenz eigentlich insgesamt gefällt. Und mit Dardai habe ich auch bei den Interviews immer wieder eine helle Freude. Die insgesamt gute Stimmung habe ich für mich persönlich auch mit dem Entschluss zu einer Auswärtsfahrt dokumentiert: Ich habe mir eine Karte für das Spiel ins Sinsheim besorgt. Für das Finale einer hoffentlich dann insgesamt doch positiven Saison. Mit dem Punkt in Hannover kann Hertha, können die Hertha-Fans das Fußballwochenende jedenfalls genießen.

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