Eine kleine Einordnung: Vor neun Jahren stieg Hertha nach einer katastrophalen Saison mit 20 Niederlagen und 24 Punkten aus der ersten Bundesliga ab. Trainer war damals Friedhelm Funkel, der das negative Momentum nach dem chaotischen Scheitern von und mit Lucien Favre in keiner Phase umkehren konnte. Gestern musste Hertha am letzten Spieltag auch das spät ausgerufene Minimalsaisonziel Platz 10 kassieren, denn dort steht nun Fortuna Düsseldorf. Der Betreuer: Friedhelm Funkel.
Im Fußball kommt es nicht nur darauf an, was man falsch macht, sondern auch, wann man etwas falsch macht. Pal Dardai wurde gestern verabschiedet, nachdem er Hertha vier Jahre lang stabilisiert hat. Aus den Abschlussplatzierungen 7, 6, 10 und 11 rechnet er einen soliden Durchschnitt heraus, andere (es scheint eine Minderheit zu sein) sehen eher die Tendenz. Pal Dardai hat in den vier Jahren viel richtig gemacht, es lief aber insgesamt dann doch in die falsche Richtung.
Auch damit hatte es zu tun, dass der Frühlingsnachmittag und eine gewisse Abschiedsstimmung das 1:5 gegen Bayer 04 in den Schatten stellten. Die Klatsche im letzten Spiel ist inzwischen Hertha-Tradition, ich trug es in diesem Jahr mit Fassung, weil ja schon die letzten Wochen ein wenig surreal gewesen waren. In unserem bürgerlichen Sektor wurde viel über die Verlängerung der Dauerkarte geredet - eine (nicht repräsentative) Mehrheit wird darauf verzichten, war zu vernehmen.
In jedem Fall nicht verlängern wird dieser freundliche Herr, der aus gegebenem Anlass seine erste Dauerkarte mitgebracht hatte. Wir saßen dieses Jahr nebeneinander und haben das eine oder andere Mal abgeklatscht, wenn Hertha etwas gelungen war. Er ist 85 Jahre alt und war 1952 zum ersten Mal bei Hertha. Wir wünschen alle einen schönen und langen Lebensabend.
Pal Dardai sprach dieses Jahr des Öfteren von Belastungssteuerung. Friedhelm Funkel sprach am Wochenende in einem Interview von Laktattests, an denen er sich nur zum Teil orientieren wollte. Denn im Fußball geht es darum, über Grenzen zu gehen. Das hat die Fortuna für ihre Verhältnisse häufig geschafft, und auch da ist es wieder bezeichnend, dass die Wende in einem Spiel gegen Hertha kam, in dem die Elf von Pal Dardai unter ihren Grenzen blieb. Und zwar so deutlich, dass ich von einem Saisontrend sprechen würde: Entlastungssteuerung.
Im letzten Spiel zog Marco Grujic ein paar Fäden, aber hinten kam Hertha mit den flinken Läufen einer jungen Mannschaft nie richtig zurecht. Pal Dardai hingegen setzte einmal mehr auf Ibisevic. Davie Selke, eines der wichtigsten Assets im Kader, mochte sich gestern beinahe schon ein wenig gedemütigt vorkommen. Zum Ende seiner Amtszeit hat der zuletzt sichtlich erleichtert wirkende Chefcoach noch einmal so richtig seiner Neigung nachgegeben, Seniorität über alles zu stellen.
Es passte aber auch zu einer Anhängerschaft, die sich mangels sportlicher Erfolge auf die nur leicht ironisch verbrämte Feier eines verdienten Langzeit-Herthaners als Fußballgott verlegte: Fabian Lustenberger kam mit Lucien Favre, und blieb über alle Tiefen hinweg. Zu den wenigen Höhen in dieser Zeit trug er Kleinigkeiten bei. Sein größtes Spiel hatte er bei dem heroischen Sieg in Leipzig, aus dem bezeichnenderweise nichts hervorging. Wir Fans sind hilflose Wesen. Ohne Einfluss auf das Geschehen, an dem wir hängen, suchen wir nach Trostpreisen.
Vereinstreue ist zweifellos ehrenwert, und wenn einer ein sympathischer Kerl ist wie "Lusti", dann freut man sich noch mehr darüber. Er war aber halt auch das Gesicht einer stagnierenden Hertha, und damit zum Ende hin passenderweise einer der Lieblingsspieler von Pal Dardai. Die angebliche Spielintelligenz von Lustenberger halte ich für einen Mythos. Denn Intelligenz hat es an sich, dass sie an sich selber wächst. Davon war nicht viel zu sehen. Ich wünsche ihm natürlich das Allerbeste, bin aber auch ein wenig erleichtert, dass ein Spieler weniger im Kader ist, mit dem ein Trainer es sich ein wenig zu leicht machen kann.
In einer Stunde breche ich zur Mitgliederversammlung auf. Wenn ich die Tagesordnung richtig deute, wird Ingo Schiller gar nicht sprechen. Dabei wäre sein Bericht der allerwichtigste. Über die finanzielle Situation von Hertha werden wir aber auch in den nächsten Wochen noch genügend erfahren. Indirekt, durch Spielerverkäufe.
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