Ironie war bisher nicht unter den Qualitäten, die man mit Bruno Labbadia verbindet. Er präsentiert sich bevorzugt als nüchterner Verfechter eines funktionalen Fußballs. Er steht weniger für einen Stil als für eine Haltung, und selbst diese Haltung ist nicht sonderlich spezifisch: er sucht halt auch irgendwie nach der Balance zwischen Kompaktheit und Kreativität, die den heutigen Fußball zunehmend mehr zu einem Planspiel mit gelegentlichen Momenten der Unberechenbarkeit machen.
Mit Ironie hatte es denn auch nichts zu tun, dass Labbadia gestern Hertha in Bremen so aufstellte, dass man dabei an ein berühmtes Stilistikum von Werder denken konnte: sie selige Raute aus den Tagen von Baumann, Micoud, Ernst und Lisztes. Stark, Darida, Tousart und Cunha waren gestern entsprechend angeordnet, wobei man natürlich gleich fragen kann, ob man mit Cunha überhaupt etwas anordnen kann, gar etwas geometrisches. Hertha hatte gestern ein Eckenverhältnis, denn eine Raute besteht nun einmal aus Linien und Ecken, blieb aber flexibel.
40 Minuten lang war das auch weitgehend belanglos, weil sich da zwei noch wenig orientierte Bundesligisten miteinander abplagten. Dann ging Hertha aber mit einem Treffer in Führung, der im besten Sinn Ausdruck von Taktik war: Denn es war Tousart, der in der Formation die halblinke Position vor Stark versah, der in einer noch wenig gefährlichen Situation den Ball bekam. Er spielte einen kurzen Pass, der an sich eher Alibicharakter hatte, es war auch der orthodoxe, es war wirklich Fußball nach Plan, zugleich aber passte die Dosierung genau, und vor allem passte die Dynamik von Mittelstädt, der erstens zur Stelle war, und zweitens eine perfekte Hereingabe produzierte, flach und scharf und eine gute Chance für Piatek, der sich zentral um eine Verwertung bemühte. Auf den Mittelstürmer konzentrierten sich auf die Bremer Defensiven, den Ball verfehlten aber alle bis auf Pekarik, der auf der anderen Seite noch ein bisschen weiter vorn angekommen war als sein Pendant Mittelstädt.
Das ist ja auch ein Aspekt der Geometrie der Raute: Die Außenverteidiger haben einige Meter zu bewältigen. Der Führungstreffer von Hertha hatte etwas Schematisches, und damit eine beträchtliche Schönheit. Und Labbadia, der sein Fußballideal sicher auch in einem Cunha, Cordoba oder Lukebakio realisiert sieht, hatte ein Geschenk von dem Spieler bekommen, mit dem er sich offensichtlich besonders stark identifiziert: von dem ehrlichen Fußballarbeiter Peter Pekarik, der selbst mit seinem Undercut noch nach Kleingewerbeverband aussieht und nicht nach Stammeskrieger.
Das Tor ordnete das Spiel. Es gehörte fortan Hertha, was sich noch vor der Pause bestätigte, indem die Raute eine kleine Inversion produzierte: einem Ballgewinn durch Cunha ließ Darida einen exzellenten Pass auf Lukebakio folgen. Der war zu diesem Zeitpunkt der linke Stürmer in einem 4-4-2 und wählte für den Abschluss konsequenterweise das kurze Eck und eine Granate.
Es war nicht zuletzt Labbadia selbst, der zuletzt mehrfach auf eine unausgewogene Vorbereitung und eine unfertige Mannschaft hingewiesen hatte. Nach der Pokalpleite gegen Braunschweig ging Hertha also schon mit einer kleinen Negativ-Folklore in das erste Ligawochenende. Nach dem 4:1 von gestern muss man sicher auch das beträchtliche Bremer Unvermögen erwähnen: Hertha hätte sich über 90 Minuten schon sehr dumm anstellen müssen, das Spiel nicht zu gewinnen.
Aber die Form des Sieges hatte dann doch auch noch etwas Zeichenhaftes: die Mannschaft ist eben nicht nur das Investorenprodukt, das sie durch die Verstärkungen (Tousart, Cunha, Cordoba) zweifellos auch ist. Sie ist auch das Produkt der inzwischen langfristigen Arbeit von Manager Preetz (Pekarik, Boyata, Stark, Darida, Lukebakio), und sie ist das Produkt einer hausinternen Entwicklungsabteilung: Torunarigha und vor allem der kontinuierlich lernwillige Mittelstädt.
Labbadia hat also nur behauptet, er hätte keine Mannschaft. Und er hat es wahrscheinlich sogar so gemeint, ganz ohne Ironie. Er war sich vermutlich selbst nicht sicher. Gestern hat sich Hertha aber als interessantes Team geoutet – oder: gerautet.
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Kommentar von Sorgenkind |
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