Neue Saison - neues Glück. Mit diesem Transparent ließen sich die Fans von Hertha am Samstag bei Viktoria Köln sehen. Da steckt natürlich auch ein Moment von Beschwörung drin. Denn eigentlich ist das eine ziemlich fiese Angelegenheit, dass das erste Pflichtspiel gegen eine kaum bekannte Mannschaft ausgetragen werden muss, auf einem nicht gerade optimalen Boden, mit dem Favoritenbonus des Erstligisten bei einem Viertligisten. Und dann spielen sie dort auch noch mit einem Ball, dessen Flugeigenschaften Thomas Kraft unbekannt waren. So erzählte es jedenfall der Kommentator in der Aufzeichnung, die ich mir nach meiner Rückkehr aus London gleich ansah.
Bei einem der beiden Gegentore spielten diese Eigenschaften tatsächlich eine Rolle. Auswirkungen hatte der Treffer nicht. Hertha gewann 4:2, überstand dabei auch eine heikle Periode in Halbzeit 2, als Köln bis auf 2:3 herankam. Zwei schöne Tore, und zwei halb gestolperte, halb genudelte Treffer, bei denen sich jeweils Julian Schieber hervortat, bei dem die Unterschiede zu Sandro Wagner (nicht im Kader) erst deutlich werden müssen. Mit einem tollen, wendigen Strafraummanöver in der ersten Halbzeit machte er jedenfalls eine Andeutung.
Der Coach hatte in zweien der vier Mannschaftsteile kleine Überraschungen mitgebracht. Nico Schulz statt Plattenhardt (van den Bergh nicht im Kader!), und Niemeyer neben Hosogai (Hegeler auf der Bank) sowie Ronny statt Baumjohann (kam gegen Ende). Letztere Personalie hatte vermutlich mit einem Umstand zu tun, der beim Führungstreffer zu sehen war: Direktheit im Abschluss bei einer Gelegenheit aus der Distanz. Ronny wummerte die Kugel einfach einmal unter die Latte und hinter die Linie. Der erste Treffer von Viktoria Köln war allerdings eine, leicht seitlich versetzte, Entsprechung und zeigte, dass beide Teams in der Rückwärtsbewegung Lücken ließen.
Doch was solls. Dies war ein Spiel, dessen prominentester Besicher Friedhelm Funkel war, der Rest war Kölner Lokalprominenz, die allenfalls interessante Einblicke in die mittlere Ebene des deutschen Wohlstands erlaubte.
Hertha hat die hochnotpeinliche erste Runde überstanden. Der Coach hat das Spiel für zwei diplomatische Manöver genützt, indem er Niemeyer und Ronny (die am Samstag vermutlich ins zwei Glied zurückmüssen) ihrer Bedeutung für das Gesamtgefüge versichert hat. Das Pressing war in Köln allenfalls nach Lust und Laune, auch das wird gegen Bremen anders sein.
In das neue Glück mischt sich eine kleine Portion Nervosität. Denn dieser umfangreiche Kader besteht doch, so deutete sich am Samstag an, aus vielen Spielern ähnlichen Typs und vor allem Vermögens. Bei einem Roy Beerens war noch nicht zu sehen, worin der Unterschied zu Ben-Hatira oder Allagui oder noch nicht einmal Ndjeng liegen könnte, auch der neue Fanliebling Genki Haraguchi fügt sich relativ diskret in die Menge.
Der Reporter, den der übertragende Sender nach Köln entsandt hatte, bemühte zwischendurch wieder einmal eines der ältesten Klischees. "Die Ansprüche in Berlin sind bekanntlich groß." Dazu vielleicht ein abschließendes Wort: In Berlin ist niemand so blöd, Ansprüche zu stellen. Es gibt Hoffnungen, die man aus einem Fan halt nicht hinauskriegt, dass irgendwann einmal die Arbeit der sportlich und der geschäftlich Verantwortlichen so gut ist, dass Hertha BSC seinen Standortfaktoren ein wenig besser entspricht, als in den letzten fünf Jahren. Derzeit ist Hertha die Nummer 94 in Europa.
Und diese Faktoren ändern sich ja auch. In diese Saison fällt das 25-Jahr-Jubiläum des Mauerfalls. Dass Berlin sich gerade seit 2008 enorm verändert hat (mehr als zwischen 1989 und 2008, würde ich meinen), das bringt ausgerechnet Hertha deutlich zum Ausdruck, der Verein mit dem Investor. Kapital macht aber nicht gleich bessere Arbeit. In fact, häufig ist es umgekehrt.
Das alles macht die neue Saison so besonders spannend. Das Glück liegt vor allem darin, dass die Saison nie länger ist als vor dem ersten Spieltag.
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