Halbe Sache, doppelt gemoppelt

Auch in Bremen hat Hertha BSC konsequent an einem Dualismus gearbeitet, der allmählich leicht pathologische Züge annimmt. Die beiden bekannten binären Logiken (Heim- und Auswärtsspiele, Hin- und Rückrunde) erhalten nun endgültig Gesellschaft von der dritten, mit der wir auch schon Bekanntschaft geschlossen hatten: erste Halbzeit gegen zweiten Halbzeit. In Summe bedeutet dass, dass Hertha mit halber Kraft durch die Liga taumelt - ein Riese, der sich selbst fesselt, oder doch eher, wofür mehr spricht, ein Zwerg, dessen zwischendurch breiter Brust allmählich die Luft ausgeht?

Das Spiel gegen die Mannschaft mit dem Lauf (in ein paar Monaten aus dem Abstiegskampf nach Europa) stand im Zeichen einer beträchtlichen Personalkrise. Brooks, Plattenhardt, Weiser und Stark fehlten, damit also fast die ganze Riege der Schaufensterspieler, die am ehesten mit Angeboten im Sommer rechnen können. Torunarigha und Mittelstädt bildeten das linke Element einer fluktuierenden Defensivformation - insgesamt war es doch eher eine orthodoxe Viererkette.

Schon nach einer Viertelstunde stand es 0:2. Das erste Tor verdankte sich einem sehr schönen Pass von Kruse, der begriffen hatte, dass Herthas gesamte Defensive nach einem Standard noch weit vorn war. Der arme Allan Souza konnte gegen Fin Bartels nichts mehr ausrichten.

So richtig wütend wäre ich als Trainer über das zweite Tor, allerdings gar nicht so sehr gegen Jarstein, der natürlich den fatalen Pass gespielt hatte. Es war eine Situation, die es so ähnlich schon mehrfach gegeben hat, ich erinnere mich an Gegentore aus der vergangenen Saison. Hertha hat den Ball, der Gegner stellt mit drei Mann den Raum zu. Ein Herthaner lässt sich fallen, das ist in diesem Fall Allan. Entscheidend für die sukzessive Reduktion der Optionen, die zu Jarsteins Panik führte, ist aber etwas, was man bei Hertha in diesen Momenten sehr oft sehen kann: Skjelbred schaltet ab, er fühlt sich für nichts zuständig, er wartet darauf, dass das Spiel irgendwie in einen Bereich kommt, in dem er es wieder auf sich zukommen lassen kann. Jarstein spielt auf Torunarigha, der Pass wird abgefangen, und Hertha hat dem unnötigsten Auswärtsrückstand seit Jahren.

Danach passierte lange Zeit nicht viel, bevor Hertha in der zweiten Halbzeit begann, Ansätze zu entwickeln. Hier einmal ein guter Pass von Allan, da eine Flanke von Esswein (der aber für einen Stammspieler einfach zu chaotisch ist), ein Moment von Kalou, und schließlich ein Foul an Ibisevic am Strafraum, bei dem es Elfmeter geben hätte müssen - zehn Minuten plus Nachspielzeit vor Schluss. Das wäre eine spannende Phase geworden. Ich vermute, dass Ittrich sich nicht ganz sicher war, ob Ibisevics Balleroberung regelkonform war, und deswegen neutral entschied. Ein Fehler von dem Mann, der gegen Bayern für meine Begriffe plausibel entschieden hatte - die Nachspielzeit wurde damals von außen um eine Minute zu umfangreich errechnet, die Überziehung der Nachspielzeit war korrekt.

Auf den Ansätzen der zweiten Halbzeit kann man durchaus aufbauen. Allerdings hapert es insgesamt doch an vielen Dingen, vor allem an Handlungsschnelligkeit (Langkamp), taktischer Intelligenz (Skjelbred), Klarheit (Kalou und Darida schaffen immer wieder kleine Räume, in denen sie sich kleinklein verrennen), und insgesamt an einer Einstellung zum Spiel, die nicht erst allmählich aus Ansätzen zusammengesucht wird.

Die eigentümliche Passivität, mit der Hertha so oft beginnt, mag mit unklaren Hierarchien in der Mannschaft zu tun haben. Die konkrete Spieleröffnung bei Ballbesitz bringt es an den Tag. Es fehlen die Dreiecke, die aus den engen Gassen an der Seitenlinie befreien. Es fehlen die kleinen, initiativen Läufe und Pässe, die für Verknüpfungen im Spiel sorgen. Darida will Verantwortung übernehmen, ihm fehlt es an Optionen von den beiden Hinterleuten. Allan war allerdings gar nicht so schlecht.

Macht ingesamt einen simplen Befund: Hertha ist desintegriert. Klare halbe Sachen in fast allen Bereichen, dazu ein genereller Mangel an Intuition, wo es lohnt, ins Risiko zu gehen. Die drei restlichen Spiele werden schwer genug, eine Prognose macht keinen Sinn, aber es könnte gut sein, dass Hertha die Saison mit einer Pointe beendet: mit zwei Heimniederlagen und einem Auswärtssieg. Wäre damit die Schizophrenie überwunden? Nein, damit wäre nur das Rätsel komplett, mit dem wir uns konfrontiert sehen.

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