Der Schriftsteller Friedrich Christian Delius wurde bekannt nicht zuletzt durch seine autobiographische Erzählung Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde (1994), in der das WM-Finale 1954 aus der Sicht eines Jungen aus einem protestantischen Pfarrhaus im Hessischen geschildert wird – große und kleine Geschichte klug verschränkt. 2023 veröffentlichte er ein Buch mit Erinnerungen, dem er eine besondere Struktur gab: eine Reihe von Einträgen wie in einem Lexikon, wobei alle Einträge sich auf ein Wort mit dem Anfangsbuchstaben A beziehen mussten. A wie Alpha, wie Aleph, eine einleuchtende Idee. Das Buch heißt Darling, it's Dilius.
1982 lebte Delius ein Jahr in Bielefeld, wo es ihn zwei- oder dreimal auf die "Alm" zog, in einer Saison, in der sich die Fußballmannschaft von Arminia Bielefeld "ganz ordentlich durch die erste Bundesliga kämpfte". Ich habe nachgesehen: Arminia Bielefeld schloss die Saison 1981/82 auf Platz 12 ab, Meister wurde damals der HSV. Und Hertha BSC wurde in der zweiten Liga Zweiter hinter Schalke 04. Delius erinnert sich an die Alm: "Mit zwei Germanistenfreunden auf den billigsten Stehplätzen, nah den brüllenden Fans, dazu Bratwurst und Bier auch für die Akademiker." Am meisten interessierte sie der Stürmer Ewald Lienen, weil der auch als "Linker" bekannt war. Delius hatte damals erst einen Roman veröffentlicht: Ein Held der inneren Sicherheit, den er Lienen schickte, als der nach dem legendären Foul, bei dem sein Oberschenkel aufgeschlitz wurde, im Krankenhaus lag. Aber Lienen "reagierte nicht, was ich bedauerte".
Und nun die erste Passage, auf die es hinsichtlich Hertha BSC ankommt: "Wir zogen 1984 wieder nach Berlin, wo ich Hertha nie so nahe kam wie Arminia (zu deutsch: Hermännin) aus dem Teutoburger Wald. Die ständige Tendenz zur Zweitklassigkeit provozierte 1967 oder 1968 das bis heute aktuelle Gedicht Aufstiegsrunde."
Da der Titel Aufstiegsrunde auch mit einem A beginnt, bekommt das Gedicht einen eigenen Eintrag. "Die Abstiegs- und Aufstiegsdramen von Hertha BSC luden bereits 1967 zu lyrischem Spott ein. Aber auch ich hätte nie gedacht, dass diese Dramen weit länger als ein halbes Jahrhundert aktuell bleiben sollten (besonders dramatisch in diesem Jahr, in dem ich dieses Buch verfasse) – auch wenn es «die Zone» und Helmstedt als Grenzort nicht mehr gibt und Bonn nicht mehr «Bonn» ist:
Hertha steigt auf. Steigt Hertha auf
steigt die ganze Hauptstadt auf
steigt aus dem Tal die Wirtschaft auf
(weil ich dann mehr Schuitheiß sauf)
steigt die Macht der Presse auf
(steigert sonntags den Verkauf)
steigt die Stadtautobahn mit auf
(hoch über die Zone nach Helmstedt hinauf)
steigt der Senator für Inneres auf
(haut bundesweit sehr feste drauf)
steigt das ganze Rathaus auf
(rennt nach Bonn im Dauerlauf)
steigt auch der Bürgermeister auf
der freie Westen auch noch AUF!
Steigen wir Absteiger fürs erste ab
und sägen denen das Treppchen ab.
Denn die so mühsam aufgestiegen sind
vergessen wie spielstark die Absteiger sind.
Delius schloss also (mit lyrischem Spott) vom Sport auf die Politik, von der Liga auf die geteilte Stadt und ihre Geltung in der Bundesrepublik. Große Poesie ist das vielleicht eher nicht, aber ich spiele hier ja nicht Literaturrichter, mich interessiert nur das Zitat, in dem der Vereinsname vorkommt: Hertha (im Gedicht ohne BSC).
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