Von Samstag bis Dienstag hat Hertha seine Fahrstuhljahre-Gedächtnis-Exkursion hinter sich gebracht. Zuerst gegen Ingolstadt in der Liga, dann gegen FSV Frankfurt im Pokal, zwei Spiele gegen Gegner aus der zweiten Liga, von denen der eine derzeit in der ersten spielt, bei dem zweiten ist mit einem Aufstieg kaum zu rechnen. Zwei Gegner, an die man sich noch gut erinnern kann, auch wenn diese Erinnerungen gerade unwirklich zu werden beginnen. Zwei Siege, von denen kaum etwas zu notieren wäre als die Buchungsergebnisse: drei Punkte aus Ingolstadt, Tabellenposition 5 vor dem "Spitzenspiel" gegen Gladbach am Samstag. Sieg gegen FSV Frankfurt nach Verlängerung, damit Eingang in den Lostopf für die nächste Runde, in der durchaus ein Heimspiel drin sein könnte.
Zu einem gutem Saisonverlauf gehört häufig auch, dass eine Mannschaft zu ihrem Glück gezwungen wird, nicht selten durch ein Unglück. Die Verletzung von Petr Pekarik fällt in diese Kategorie. Sie gibt Mitchell Weiser die Gelegenheit, sich als offensiver Rechtsverteidiger nachhaltig zu profilieren, wobei der Anreiz, dass das eine im Nationalteam mittelfristig keineswegs eindeutig besetzte Position ist, nicht ohne Interesse sein wird. Weiser war der definierende Spieler dieser zwei Arbeitssiege, mit einem Tor in Ingolstadt und einer Flanke in Frankfurt, und mit seiner allgemeinen Agilität. Er bringt ein Quäntchen Witz mit, das Hertha derzeit brauchen kann.
Denn es handelt sich bei diesem Jahrgang um einen sogenannten "humorlosen", er wird dominiert von "no nonsense"-Typen wie Sebastian Langkamp oder Vladimir Darida, selbst Salomon Kalou jubelt, als müsste er beim Bingo eine Ziffer in ein Feld eintragen. Er schlich sich in Frankfurt an das Ende einer schönen Banane von Weiser, und verwertete sie geschickt, mit einer leicht ins Akrobatische glänzenden Note. Später holte er sich von Fanol Perdedaj einen Elfmeter, den er in gewohnter Manier verwertete: platziert in die Mitte, aus der sich der Torhüter, zu einer Bewegung durch Täuschung gezwungen, entfernte.
In Ingolstadt fiel der Treffer früh, danach verteidigte Hertha lange und halbwegs konzentriert gegen einen Gegner mit dem Offensivpotential eines Zweitligisten. In Frankfurt ging der Gegner sogar in Führung. Hertha litt vor allem, so hatte ich jedenfalls den Eindruck, unter dem holprigen Platz. Denn neben der Humorlosigkeit fällt vor allem die technische Grundqualität der Mannschaft ins Auge, die leidet nun einmal, wenn der Ball dauernd verspringt. Weiser sowie Haraguchi verbinden Technik mit einer Dynamik, die zumindest für Momente das Wühlen und Dühlen transzendiert, aus dem die vergangenen 180 (+30) Minuten vor allem bestanden. Wobei Weiser im Grunde nur einen Trick hat, aber der reicht für eine Menge.
Unweigerlich denkt man, wenn man ihn spielen sieht, an eine Personalie aus der Vergangenheit, an eine der vielen Ideen, die in Berlin einmal zirkulierten. Weiser ist eben kein neuer Lell, mit ihm wurde keine genetische Ausstattung gekauft, die anderswo Erbsubstanz ist. Weiser erweckt den Eindruck, dass ihm seine Zeit beim FCB nicht mehr viel bedeutet, dass er einfach nun in einer Mannschaft spielt, in die er passt. Und der Coach vermittelt glaubhaft und mit dem ihm eigenen Schalk den Eindruck, er hätte das immer schon gewusst und es Weiser auch so schmackhaft gemacht.
Da ich bei Lell auch immer an Ottl denken muss (der Wagnisgott sei seinem Startup gnädig), wird mir klar, was diesen Jahrgang auch noch positiv auszeichnet: Es finden sich darin keine Spieler mehr, die mit Standing oder irgendwelchen anderen sekundären Tugenden einen Platz in der Mannschaft behaupten, den sie mit ihrem Spiel nicht verdienen. Hertha hatte häufig solche Hierarchen, ich denke an Niko Kovac, vor allem aber an Ottl, der die Tatsache, dass er von den Bayern kam, sicher selber gar nicht so wichtig nehmen wollte. Aber sie sicherte ihm einen Platz im Team, denn er war für eine Rolle designiert worden, sodass man lange nicht wahrhaben wollte, dass er sie extrem uninteressant interpretierte.
Kalou wäre bei der aktuellen Hertha das Beispiel für so einen Spieler, der anfänglich von der Aura zu leben versuchte. Nicht mehr in diesem Jahr. Er ist besser geworden, weil er sich dem gleichen Leistungsprinzip unterwirft, das für diese Mannschaft mit ausgeprägt flacher Hierarchie gilt. Ich muss nicht groß betonen, dass es viel mehr Freude macht, vor diesem Hintergrund die kleinen Leistungsexplosionen zu beobachten.
Ich musste das jeweils auf einem kleinen Schirm tun, war also nicht in dem wünschenswerten Maß nah dran. Meinen Rückflug aus Wien, wo ich derzeit bin, habe ich allerdings so gebucht, dass ich am Samstag im Stadion sein kann.
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