Kanonenfutter

Im 14. Saisonspiel gab es gestern Niederlage Nummer 8 für den FC Arsenal, auswärts bei Everton. Die Situation ist ein Musterbeispiel für die Unwägbarkeiten im Fußball, oder genauer: für die Schwierigkeiten, sich gegen eine Negativserie zu behaupten, wenn sie erst einmal Schwung aufgenommen hat. Die Fans suchen nach Sündenböcken, längst fordern auch viele die Ablösung von Mikel Arteta.

Eine sorgfältige Analyse kann zwar bei der Behebung des Problems helfen, aber auch wiederum nur in begrenztem Maß. Denn Arsenal verliert derzeit anders als noch vor ein paar Wochen. Im Oktober und November war die Mannschaft von einer merkwürdigen Apathie gekennzeichnet, das hat sich jetzt zumindest geändert. Arsenal spielt wieder nach vorn, keineswegs brillant, aber zumindest mit einer gewissen Dringlichkeit. Dafür häufen sich defensive Probleme.

Gegen Southampton am vergangenen Mittwoch war Gabriel Magalhaes der negative Held. Eigentlich gilt der Innenverteidiger als Hoffnungsträger, er kam im Sommer neu aus Lille, für 26 Millionen Euro, und wurde schnell Stammspieler und sogar Stütze. Er wirkt unerschrocken, und strahlt eine gewisse Autorität aus. Seine langen Eröffnungspässe (ein Markenzeichen bisher eher von Luiz) sind allerdings meist sinnlos. Im Spiel gegen das aufstrebende Team von Ralph Hasenhüttl hatte Gabriel drei Zweikämpfe weit entfernt vom eigenen Strafraum, in allen drei Fällen mit Folgen: zuerst ermöglichte er mit einem missglückten Einschreiten fast an der Mittellinie einen Konter, den Walcott mit einem Tor abschloss. In der zweiten Halbzeit holte er sich zwei gelbe Karten, in Unterzahl musste Arsenal schließlich mit dem 1:1 zufrieden sein.

Auch Holding, den ich schätze, rückt immer wieder weit heraus, verteidigt teilweise jenseits der Mittelinie aggressiv gegen den Mann. Dieses wohl abgesprochene Vorgehen ist so auffällig, weil es nicht so richtig zu dem eher unklaren Pressing weiter vorn passt. Und es macht Arsenal natürlich verwundbar.

Gestern fiel der entscheidende Treffer fütr Everton nach einem Corner. Der eigens eingestellte Coach für Setpieces macht sich bisher nicht bemerkbar. Arsenal hat aber auch kaum Zeit für Training in diesem strapaziösen Herbst. Allerdings ist es doch merkwürdig, dass nicht einmal Absprachen zu existieren scheinen, wer zum Beispiel Freistöße übernimmt. Einen geübten Spieler für diese Spezialdisziplin hat Arsenal nicht. Corner kommen meistens von Willian, gefährlich sind sie selten, einstudiert wirken sie nie.

Willian ist sowieso die Reizfigur. Ich habe auch eine Abneigung gegen ihn. Gestern war er aber in der zweiten Halbzeit doch deutlich bemüht, ein wenig die verwaiste Rolle eines Spielgestalters zu übernehmen, zumindest in Andeutungen. Insgesamt sind seine Leistungen aber nicht überzeugend, und im Sommer hätte ich auf jeden Fall gesagt, dass Arsenal einem 32-Jährigen von Chelsea keinen Dreijahresvertrag geben sollte. Arteta war dafür, einen Unterschiedspieler hat er nicht bekommen.

Seine Personalentscheidungen lassen jedenfalls Raum für Kritik. Gestern entschied er sich für Nketiah im Sturmzentrum, und gegen Lacazette, in Abwesenheit von Aubameyang, der angeblich eine Wadenverletzung hat. Das Vertrauen in Nketiah in allen Ehren, aber Lacazette ist einer, an dem sich eine Mannschaft aufrichten kann, er stoppt auch beim Zurückarbeiten nicht ab, wie Willian, der Iwobi bei der Flanke zusah, die zum ersten Gegentreffer führte.

Maitland-Niles ist für Arteta nur ein Notnagel, dabei ist deutlich zu sehen, dass er auch einer ist, der mit seiner Coolness, seiner Technik, seiner guten Geschwindigkeit etwas beisteuern kann. Ich würde ihn gern im Mittelfeld sehen, neben Ceballos und später neben Partey. Ceballos hat die besten Pässe drauf bei Arsenal, gestattete sich gegen Everton aber auch wieder einmal eine eher bequeme erste Halbzeit.

Die Rückkehr von Martinelli war am Samstag das Hoffnungszeichen. Arsenal hat einen Kern junger Spieler, bei dem es nun darauf ankommt, in welcher Konstellation sie ihre Chance bekommen sollen. Für die Fans ist vor allem Smith-Rowe ein sentimentaler Liebling, sie würden ihn am liebsten sofort als Özil-Ersatz sehen. Für meine Begriffe ist er deutlich noch nicht so weit. Ich will aber doch einmal die utopische Junge-Wilde-Elf nominieren, mit der Arsenal im Frühling durchstarten sollte, wenn ich beim Fußballgott intervenieren könnte: Leno. Tierney - Gabriel - Holding. Saka - Partey - Willock - Maitland-Niles. Aubameyang - Balogun - Martinelli.

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Kommentare

Kommentar von Jörg |

Die Super League hätte ich vollkommen uninteressant gefunden, schon die Champions League ist derzeit ohne Zuschauer und ohne Hertha kaum interessant für mich. Und damals nach dem Abstiegsschmerz fand ich die Zeit von Hertha in der zweiten Liga auch ganz gut, muss ich sagen. Weil die zweite Liga eben nicht so überhitzt und gehyped ist. Würdest Du noch einen Unterschied machen zwischen Lars Windhorst, Stan Kroenke und Daniel Ek, der sich ja als Arsenal-Käufer angeboten hatte? Und: warum verheert der Kapitalismus den Fußball? Weil der Fußball seine bestimmende Eigenschaft verliert, nämlich Spiel zu sein?

Kommentar von Marxelinho |

Der wesentliche Unterschied, den ich zwischen Windhorst, Kroenke und Ek sehe, besteht darin, dass Tennor BV sich bewusst in einem sehr schlecht regulierten Feld bewegt, niemand weiß dadurch wirklich, mit welchem Geld Windhorst eigentlich operiert.

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