Katastrophen und Kontinuitäten


Es ist ein schöner Zufall, dass Hertha BSC und der Liverpool FC im selben Jahr gegründet wurden. 1892 ist lange her, heute begehen die beiden Vereine ihren runden Geburtstag mit einem Freundschaftsspiel im Olympiastadion. Das bietet auch eine Gelegenheit, sich ein paar Gedanken über Tradition zu machen. Das ist nämlich ein Faktor, der im Fußball häufig beschworen wird - doch was hat es damit näherhin auf sich?

Die 125 Jahre, die Hertha nun auf dem Buckel oder auf dem Legitimitätskonto hat (sieben mehr als, um ein kontroverses Beispiel zu nennen, die TSG 1899 Hoffenheim, und 107 mehr als der eingetragene Verein RasenBallsport Leipzig), stellen nämlich keineswegs ein Kontinuum dar. Im Gegenteil könnte man sich fragen, ob das noch mit Fug und Recht dieselbe Hertha ist, die damals ihren Namen reichlich zufällig einem Ausflugsdampfer auf der Havel entlehnte, und die heute die deutsche Hauptstadt im internationalen Fußball vertritt.

Die Antwort darauf ist natürlich ein klares Ja, das allerdings der Differenzierung bedarf: Hertha BSC von 1892 und Hertha BSC von 2017 bilden eine Klammer um eine Geschichte von Unterbrechungen und Krisen (und historischen Katastrophen), die erst so richtig auf den Faktor Geschichtlichkeit aufmerksam machen. Man könnte es auch auch anders sagen: Das, was die Stadt Berlin so besonders macht, nämlich das Übermaß an Geschichte, das die Stadt erlebt hat, zeigt sich in der Geschichte von Hertha wie in einem Spiegel.

Die wesentlichen Stationen sind schnell benannt: eine halbwegs kontinuierliche Entwicklung aus der Gründerzeit des späten 19. Jahrhunderts heraus über die stadthistorisch relative Katastrophe des Ersten Weltkriegs hinweg bis zu den Meistertiteln 1930 und 1931, die Jahre des Nationalsozialismus, in denen sich der Verein jedenfalls nicht offensiv kompromittierte, die Jahre der Bundesliga in der Bundesrepublik, in denen Hertha stark mit dem Schicksal der prekären und korrupten Enklave West-Berlin verbunden war, die katastrophalen 1980er Jahre, in denen keinerlei Richtung zu erkennen war.

Die neue Zeitrechnung beginnt mit dem Aufstieg in die Bundesliga 1997. Kurz darauf wurde Berlin Hauptstadt, damit war die Wiedervereinigung auch auf dieser Ebene vollzogen, und von da an kann man wieder nach neuen Kontinuitäten und Parallen zwischen der Geschichte der Stadt und der Geschichte des Vereins suchen.

Im Wesentlichen geht es für Berlin wie für Hertha seither darum, eine ökonomische Grundlage zu finden. Das Berlin des Bankenskandals und die Schulden-Hertha der nuller Jahre haben nicht direkt miteinander zu tun, lassen sich aber als Symptome einer ähnlichen spekulativen Mentalität begreifen. Heute haben die Stadt und der Verein im Grunde dasselbe Geschäftsmodell: unter den Bedingungen eines entfesselten globalen (Rohstoff- und Räuber-)Kapitalismus eine plausible Auskömmlichkeit zu finden, die offen ist für Innovationen.

Das macht diesen 125. Geburtstag für Hertha so besonders: Er kann, anders als der 100. oder der 50. oder der 75., tatsächlich in einem Geist begangen werden, der mehr als nur in einem trivialen Sinn zugleich nach rückwärts und nach vorn gerichtet ist. Hertha BSC 2017 lässt zusammenwachsen, was die Geschichte getrennt hat. Die unstete Geschichte, die für die Stadt Berlin wesentlicher Teil der Trademark ist, ist durch einen Realitätssinn geheilt worden, der sich paradoxerweise gerade einem spekulativen, kapitalistischen Investment verdankt: Hertha BSC ist durch KKR wieder auf die Füße gekommen, und verzichtet seither auf große Sprünge oder gar Übersprungshandlungen.

Die beiden großen Wegmarken der absehbaren Zukunft - das noch auszuhandelnde Ausstiegsszenario von KKR im Jahr 2021, die Stadionfrage, die bis 2025 zu klären ist - bieten dabei jeweils eine Möglichkeit, sich in einem Fußball-Business zu positionieren, das nichts mit Monopoly zu tun hat, sondern mit der Rücksichtslosigkeit der neuen Oligarchien. Hertha kann die eigene Politik dabei durchaus auch in dieser Hinsicht labeln: als einen Weg, die Fantasie, die in der "Aktie" der Stadt Berlin steckt, zu erden - mit einem neuen Stadion (idealerweise dem Speer-Konzept für das Olympiagelände folgend) sogar ganz buchstäblich.

Für einen Fan ist ein Verein im Grunde immer so alt wie die gemeinsame Beziehung. Das ist auch bei mir so: ich wurde Hertha-Fan mit dem Wiederaufstieg von 1997, nicht aus Opportunismus, sondern weil mir, damals noch von Wien aus, nichts anderes plausibel schien, als der Mannschaft anzuhängen, die in der Stadt spielte, die mich so interessierte. Und dieses Verhältnis bestimmt auch nach wie vor meine Leidenschaft: (m)eine Stadt - (m)ein Verein - Hertha BSC.

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