Konzentration und Vision

Über einen Mangel an Themen müssen wir uns vor dem Heimspiel gegen die TSG 1899 Hoffenheim nicht beschweren. Hertha hat es in Bremen nicht geschafft, der Rückrunde ein erstes Momentum zu verpassen. Das Etikett Mittelmaß, das derzeit durch die Statistik (neutrale Tordifferenz wie auch ausgeglichene Ergebnisbilanz mit je sechs Siegen und Niederlagen bei acht Remis) erhärtet wird, verträgt sich nicht mit der Ausbildungserzählung. Voriges Jahr konnte sich Hertha auf kaum höherem Niveau sogar nach Europa schummeln. Dieses Jahr wird schon für die Top Ten mehr Klarheit erforderlich sein, als es die ersten drei Spiele 2018 erkennen ließen.

Der Abgang von Sebastian Langkamp (von Pal Dardai in der PK als "gute Trennung" bezeichnet) betrifft ein erstes Thema: Die spieleröffnende Kompetenz der Innenverteidiger. Besonders auf Niklas Stark wird hier zu achten sein. Er hat bisher im neuen Jahr von den interessanten Passversuchen kaum einen an den Mann gebracht, auch seine Andeutungen von Vorstößen über die Mittellinie brachten nichts ein. Stark gilt als eine der interessanteren "Aktien" von Hertha BSC, sein Wert (und sein Karriereverlauf) wird sich nicht zuletzt daran entscheiden, ob es ihm gelingt, in sein Aufbauspiel Konzentration und Vision hineinzubekommen - und ob die Mannschaft ihm dabei hilft. Vision ist hier durchaus in einem doppelten Sinn zu verstehen - als Fähigkeit, den Raum vor sich zu entziffern, wie auch als Fähigkeit, ihn interessant zu verändern.

Langkamp war auf jeden Fall kein Visionär, bei Stark ist dieses Talent derzeit auch eher verkümmert. Das hat aber auch damit zu tun, dass die Mannschaft nicht so richtig zu wissen scheint, wie und wann sie in einem Spiel initiativ werden soll. Pal Dardai hat mit Blick auf Hoffenheim wieder von "Geduld" gesprochen (auch von einem Platz, der ein anspruchsvolles Spiel nicht zulassen wird). Gleichwohl braucht es allmählich auch Signale, dass Hertha aus Spielen nicht nur vielleicht beiläufig hinten heraus oder durch Standards etwas mitnehmen will, sondern dass die Mannschaft aus eigenen Stücken ein Ziel hat. Gegen Stuttgart und den BVB gab es diese Signale, sie waren aber zu zufällig über die Matchdauer verteilt, um richtig Wirkung zu zeigen.

Das dritte Thema betrifft die Formation in der Offensive. Im Herbst hatte Dardai mehrfach auf eine Doppelspitze mit Ibisevic und Selke gesetzt (und die Taktik darauf ausgerichtet, indem er vor allem auf Flanklen setzte). Nach dem Bremenspiel kritisierte er Selke für seine Versuche, sich in das Spiel zu integrieren, indem er lange und falsche Wege ging. Wir dürfen gespannt sein, welchen Schluss der Coach heute daraus zieht, zumal Duda ja verletzt ist. Es wäre für meine Begriffe verkehrt, Selke jetzt eine Pause zu verordnen. Er ist potentiell ein exzellenter Stürmer, und sicher nicht seine Schuld, dass die Mannschaft es relativ selten schafft, bis zu ihm zu kommen.

Hoffenheim steht in der Tabelle fast Schulter and Schulter mit Hertha, ist aber als Mannschaft immer noch besser definiert, wenn auch nur durch das ausgeprägtere Pressing. Dass Hertha sich dieser Liga-Orthodoxie nicht anschließen will, sondern meist tiefer steht, allerdings auch nur selten den dadurch längeren Weg zu Abschlussaktionen überbrücken kann, ist eigentlich eine Paradoxie - ein ungedeckter Vorgriff, denn genau besehen hätte Hertha genug Gründe, diese Taktik (die ja im Grunde immer noch vor allem eine Survivaltaktik ist, was man vor allem an S04 unter Tedesco gut sehen kann) nicht zu verachten.

Hertha verachtet diesen Stil ja auch nicht, er kommt allerdings nur unstrukturiert zum Einsatz. Wir können nur hoffen, dass die Entscheidungen, die Pal Dardai heute treffen muss (Torunarigha? Darida? Ibisevic?) mit einem Matchplan zu tun haben, der nicht nur Geduld, sondern auch Initiative enthält.

zurück zur Übersicht

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 1 plus 6.