Der Kommentator von DAZN sprach gestern konsequent von einer B-Elf, die Arsenal im FA Cup gegen den FC Portsmouth aufgestellt hatte. Man hätte auch von einem Perspektivteam sprechen können: eine sehr jugendliche Formation gegen einen Drittligisten. Saka, Guendouzi, Martinelli, Willock, Nketiah und Nelson, dazu ein paar erfahrene Herren weiter hinten (Luiz, Sokratis), der neue Innenverteidiger Mari. Lucas Torreira musste früh ausgewechselt werden, für ihn kam Ceballos. Zweimal zog Nelson über rechts das Tempo an, das reichte zu Treffern durch Sokratis und Nketiah.
Es war das erste Spiel nach dem Ausscheiden aus der Europa League am vergangenen Donnerstag, nach einem sehr späten Auswärtstor von Olimpiacos Piräus. Ich habe selten einen so intensiven Moment mit Arsenal erlebt, ein absoluter Thriller von einem Match, mit einem schlimmen Ende. "Arsenal will not recover from this in a decade", habe ich danach getwittert. So fühlte es sich an, so könnte er aber auch durchaus kommen.
Denn der Club befindet sich an einem wegweisenden Punkt. Die Qualifikation für die Champions League ist nun nur noch in der Liga möglich. Der Abstand zu Platz 4 ist gar nicht so groß, acht Punkte bei einem Spiel mehr als Chelsea. Aber Arsenal steckt in einem dichten Pulk, wenn die Saison so weitergeht, kann es ohne weiteres sein, dass nächstes Jahr die Wolverhampton Wanderers in der Königsklasse auflaufen.
2016/2017 war Arsenal zum letzten Mal in diesem Bewerb vertreten, damals war im Achtelfinale Schluss, in zwei Spielen gegen die Bayern, die mit einem Torverhältnis von 2:10 endeten. Arsene Wenger konnte auch danach noch mehr als ein Jahr weitermachen, der Sieg im FA-Cup 2017 übertünchte die bereits deutlichen Defizite.
Für Arsenal hängt vom Ausgang dieser Saison nahezu alles ab. Ein viertes Jahr ohne Champions League würde wahrscheinlich bedeuten, dass der Kader im Sommer geplündert wird: Aubameyang, der Talisman, ist dann 31, sein Vertrag läuft bis 2021. In einer Liste der 100 besten Fußballer, die der Guardian kürzlich veröffentlichte, waren von Arsenal nur zwei Spieler vertreten: Auba und Lacazette (der auf Platz 99). Das sagt eine Menge über den Kader aus. In dieser komplizierten Saison haben sich einige junge Spieler gezeigt: Saka und Martinelli sind am auffälligsten, auch sie wären schwer zu halten, bliebe Arsenal im Niemandsland des Fußballs stecken.
Mikel Arteta hätte dann eine ganz andere Aufgabe als bei Manchester City, wo er an der Seite von Guardiola aus dem Vollen schöpfen konnte und Talente wie Sterling entwickeln half. Er müsste Aufbauarbeit nahezu von ganz unten leisten. Ob er dazu in der Lage ist, kann man bisher noch nicht einschätzen. Er hatte unzweifelhaft einen positiven Effekt auf die Spieler, inzwischen spürt man aber schon wieder regelmäßig das typische Arsenal-Phlegma. Granit Xhaka ist dafür das interessanteste Beispiel: er war mit Arsenal schon am Ende, hatte dann ein heroisches Comeback in einem spektakulären Derby gegen Chelsea, inzwischen ist er weitgehend der Spieler von vorher, spielt seinen Stiefel, gilt nun aber wieder als Stütze.
Aubameyang traf gegen Olimpiacos mit einem Fallrückzieher, es war ein großartiges Tor nicht nur für ihn, es war ein Ensemblekunststück. Umso mehr muss ihn getroffen haben, dass sein Erfolg sechs Minuten später durchgestrichen wurde, weil Arsenal eine Flanke nicht verteidigte. Den vorentscheidenden Fehler machte übrigens Bernd Leno, der einen keineswegs schwierigen Rückpass in einen Corner für Olimpiacos verwandelte. Seinen Stellvertreter Martinez, der gestern spielte, halte ich für keinen genügenden Ersatz. Im Grunde bräuchte Arsenal auch zwei neue Keeper.
Mesut Özil, der am meisten verdient, will bis 2021 bei Arsenal bleiben. Das ist aus seiner Sicht nur vernünftig, denn sportlich wird er es in keine Topmannschaft mehr schaffen, auch wenn sein Spiel zuletzt wieder interessanter wurde. Er bemüht sich, und Arteta schenkt ihm auch Vertrauen. Özil gehört nicht mehr zu den Top 100, aber er hat in guten Momenten immer noch die Ausstrahlung eines Weltstars. Und er spielt unnachahmlich. Im Moment zählt es also zu meinen kargen Freuden als Arsenal-Fan, den langsamen Abschied von Mesut Özil zu beobachten, oder, im Idealfall, das späte Glück.
Arsenal hat jetzt noch elf Spiele in der diesjährigen Premier League. Wenn es Arteta gelingt, das Personal gut auf diese Herausforderung einzustellen und die richtige Mischung aus Erfahrung und Talent zu finden, dann könnte er schon in seinem ersten Jahr bei Arsenal etwas Großes schaffen. Platz 4 wäre im Grunde eine Sensation. Es kann nun aber kein anderes Ziel geben.
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