Poker ohne Joker

Der Deadline Day hat eindeutig Potential. Wenn man die Sache rein eventlogisch betrachtet, könnte es irgendwann viel mehr Sinn machen, die ganze Transferperiode auf 72 Stunden zu beschränken. Die werden dann live übertragen, am besten werden alle beteiligten Personen (Kaderplaner, Spielerberater, Ware) irgendwo kaserniert, aus dem medizinischen Testzentrum gibt es einen Live-Feed, und dann wird das Ganze durchgezogen wie ein Pokerturnier oder eine Verhandlung der EU-Regierungschefs.

Aber auch in der derzeitigen Form hat der Showdown schon einiges für sich. Er zeigt vor allem, in welch hohem Maß der Fußball von Chaos geprägt ist. Alle geben sich den Anschein solider Planung, dann drängt sich aber doch am letzten Tag noch eine Menge zusammen. Passiert ja auch im eigenen Leben, wenn Projekte fertig werden müssen.

Der Deadline Day 2020 hatte für mich persönlich eine Pointe, weil er meine zwei Lieblingsclubs zusammenbrachte. Hertha hat von Arsenal Matteo Guendouzi ausgeliehen, einen jungen Mann für das zentrale Mittelfeld, der in London eine Weile als künftiger Führungsspieler galt, dann aber von Mikel Arteta aussortiert wurde, aus Gründen, die nie klar wurden, aber jedenfalls mehr als nur ein sportlich waren.

Wenn man Guendouzi in eine Hertha-Formation eintragen würde, sehe ich ihn am ehesten da, wo derzeit meistens Darida spielt. Das heißt, dass ich ihn für den eigentlichen Sechser eher nicht sehe. Bei Arsenal spielen meistens zwei auf einer Linie, lange Zeit war Xhaka der Fixpunkt, daneben Ceballos oder früher Torreira bzw. Guendouzi. Hertha hat zuletzt meistens ein Dreieck dort nominiert, gegen Bayern hat Labbadia auf den haltenden Sechser verzichtet. Für die deutlich fehlende defensive Stabilität der Mannschaft ist Guendouzi meiner Meinung nach nicht der erste Kandidat, er ist eher spielgestaltend interessant.

Arne Maier, der vor zwei Jahren schon einmal recht souverän die ganze Mittelfeldstatik organisierte, wird unter Labbadia nun wieder wie ein Lehrling behandelt und zu Bielefeld ausgeliehen. Dass er sich auf diese Option einlässt, und nicht einen Abgang nach Italien wählt, zeugt von seiner Reife, ist aber aus Sicht von Hertha auch merkwürdig. Klar, er ist momentan verletzt, aber Guendouzi ist ein Spieler, der in etwa das bringen könnte, was ein fitter Maier der Mannschaft schon bewährtermaßen gebracht hat. Hier wurde also für meine Begriffe unnötig herumgeschoben.

Immerhin aber hat Hertha jetzt einen Premier League-Star. Mal sehen, ob Labbadia ihn dann überhaupt brauchen kann bzw. will.

Rein spekulativ ist natürlich die Überlegung, ob die (unglückliche) Verletzung von Arne Maier nicht auch bis zu einem gewissen Grad mit einer Übermotivation zu tun hatte, die Labbadia provozierte, weil er ihm so offensichtlich das Vertrauen entzog. Maier ist vielleicht das größte Opfer der Dardai-Stagnation und der verfehlten Richtungsentscheidung für Ante Covic im Jahr 2019. Hertha hat seither viel herumgetan (Ascacibar, Löwen, Tousart), um da Optionen zu schaffen, die im Durcheinander von ständig wechselnden Trainer-Entscheidungen und deren Befangenheiten im Grunde bisher sogar Skelbred vermissen lassen könnten.

Für einen Manager stellt sich die Sache natürlich anders dar als für einen Fan wie mich: ich bin eher daran interessiert, dass einem Talent aus der eigenen Jugend, das wir schon seit Jahren kennen, im Zweifelsfall ein Vertrauensvorschuss gewährt wird. Für die Öffentlichkeit aber gilt, was der Deadline Day als Inszenierung verdichtet. Es muss was geschehen, was nach Verstärkung aussieht. Auch wenn es vielleicht nur Nullsummenspiele sind. Oder sogar kleine Disruptionen. Insgesamt hat Hertha meiner Meinung nach in deser Transferzeit aber vernünftig gearbeitet. Rekik durch Alderete zu ersetzen, macht sicher Sinn, zumal nach der Verletzung von Torunarigha. Cordoba/Duda ist fast so etwas wie ein kleiner Coup.

Im Kleingedruckten finden sich dann auch noch ein paar Indizien, dass Hertha inzwischen ein deutlich anderer Club ist also vor zwei Jahren, als Pal Dardai der Mut noch nicht ganz verlassen hatte. Julian Albrecht und Palko Dardai verlassen den Profikader. Nun liegt es an Bruno Labbadia, die Statik der Mannschaft so zu organisieren, dass sie auch wieder ein Gefühl für die Defensive bekommt. In zehn Tagen beginnt die Saison dann richtig. Wenn nicht die allgemeine Corona-Unvernunft in der Gesellschaft auch noch auf den Fußball übergreift.

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