Mitchell Weiser geht nach Leverkusen, so steht es heute im Kicker. Das muss man noch nicht als Tatsache lesen, aber dass er innerlich schon Abschied von Hertha genommen hat, erscheint doch sehr wahrscheinlich. Es wäre allerdings verkehrt, das jetzt so zu verbuchen, dass ein opportunistischer Spieler einfach die nächstbessere Gelegenheit wahrnimmt. Die Entscheidung von Weiser ist anders einzuschätzen als zum Beispiel die von John Brooks, der wohl um eines deutlich höheren Gehalts willen zu einem Provinzclub in Hauptstadtnähe wechselte.
Die Sache Weiser gehört für mich direkt mit Pal Dardai zusammen. Wir wissen nichts über die Details, aber man spürt doch ein wenig durch, dass im Lauf dieser Saison da irgendetwas zerbrochen ist. Im Sommer kamen Selke, Stark und Weiser als junge Könige von der EM, fast ein Jahr später befinden sich alle drei in den Mühen der Ebene. Aber nur Weiser zeigt sich offensiv distanziert.
Gutes Scouting misst einen Spieler sowieso kaum einmal an der aktuellen Form, sondern an einem Verhältnis zwischen dem, was einer einmal gezeigt hat, und dem, was er unter veränderten Umständen idealerweise noch hinzufügen könnte. Dazwischen liegt der Alltag von Mitchell Weiser in dieser Saison bei Hertha, geprägt auch durch Verletzungen, durch mangelnden Rhythmus.
Wir dürfen aber nicht übersehen, dass die Saison vor allem durch einen Umstand geprägt ist: die konsequente Zurückweisung von Ansprüchen durch den Cheftrainer. Sie wird nun wohl auch so enden, denn in den verbleibenden vier Spielen fehlt es ein bisschen an einem konkreten Ziel. Für einen jungen Spieler wie Weiser, der vom FC Bayern kam und der weiß, wie sich Champions Leage anfühlt, ist diese Hertha kein seriöser Partner.
Im Gegenteil: durch den Fokus auf eine "Ausbildung ohne Entwicklung", wie ich das nennen würde, wird Hertha im nächsten Jahr wieder mehr oder weniger bei Null beginnen, im dichten Pulk der vielen Mannschaften, die sich um die Plätze 7-15 bewerben. De facto gab es heuer nur einen Lernerfolg: der Einbruch in der Rückrunde wurde vermieden. Im Vorjahr war Hertha eine der überbewerteten Aktien in der Tabelle, in diesem Jahr ist alles besser eingepegelt. Aber eben auch um den Preis, dass man sich nicht so richtig vorstellen kann, was da noch kommen soll. Oder kann.
Wir erinnern uns vielleicht, dass Weiser vor zwei Jahren schon einmal eine pädagogische Maßnahme von Pal Dardai getroffen hat: damals wurde er wegen Fitnessrückstand zum Einzeltraining geschickt. Nach wie vor ist nicht so richtig zu ermessen, wie Dardai mit Individualisten zurechtkommt. Bei Kalou hatte er bisher zum Beispiel ein gutes Händchen, aber der steht ihm auch mit seiner reichen Erfahrung näher. Weiser war bei Hertha eine Weile ein Differenzspieler, einer, der Spiele entscheidend beeinflussen konnte. Das ist verloren gegangen, und Hertha konnte seither eine ganze Menge von Spielen nur unmaßgeblich beeinflussen.
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