Es ist ein tolles Gefühl, in ein Stadion zu kommen, das ich noch nicht kenne, so wie heute in Rostock, wo ich zum zweiten Mal die Hertha bei einem Auswärtsmatch begleitet habe. Ich sass sehr nahe am Geschehen, dazu aber morgen mehr. Jetzt muss ich einen Vorfall loswerden, in den ich auf der Heimfahrt im Regionalexpress verwickelt wurde. Alles war im Grunde ruhig, es wurde ein wenig gegrölt und geraucht, neben mir saßen ein Vater und sein halbwüchsiger Sohn und lasen jeweils Henning Mankell. Ich hatte die Satanischen Verse dabei, die ich gerade zum zweiten Mal lese, weil ich an einer Sache über den Propheten Mohammed sitze.
In Neustrelitz gab es eine Verzögerung wegen eines Polizeieinsatzes, worauf unweit von mir (wir saßen alle am Treppenaufgang in einem zweigeschossigen Waggon) ein Mann mit hochrotem Kopf sehr durchdringend rief: "Immer diese Juden, halten alle auf." Ich war kurz geneigt, ihn zu ignorieren, sagte dann aber doch laut und deutlich, dass er nicht Juden mit Hooligans verwechseln und überhaupt da nicht antisemitisch laut werden sollte. Seine erste Reaktion war überraschend. "Ah. Österreicher. Im Sommer werden wir zu euch kommen, und euch den Marsch blasen."
Gleichzeitig meldeten sich mehrere junge Knilche, die vorher schon durch üble Sprache, aber nicht durch Rechtslastiges aufgefallen waren, und forderten Meinungsfreiheit für "einen Berliner". Ich gab zu verstehen, dass ich auch Berliner bin und außerdem Hertha-Fan. Das war ihnen nun ein Absporn. "Ey, Berliner, du bist sicher aus Charlottenburg, und würdest dich nicht einmal am Tag zum Kottbusser Tor trauen." Ich wohne um die Ecke vom Kotti, und komme dort mehrmals täglich vorbei, habe aber dort noch nie eine brenzlige Situation erlebt. Auch das gab ich zu verstehen.
Ich hätte nur Glück gehabt, eines Tages würden mir die Kanaken schon auflauern. Ich versuchte zu erklären, dass das Problem am Kotti die Trinker und die Dealer sind. Es dauerte gut zehn Minuten, bis die diffuse Solidarisierung mit dem Mann, der alles ausgelöst hatte, abgeebbt war. Ich dachte schon, die Sache hätte sich, und wir würden uns nun eben bis Gesundbrunnen schweigend anfeinden, da meldete sich ein junger Mann zu Wort und machte eine ungeschickte Bemerkung über Auschwitz. Nun bestanden sie darauf, dass ich das auch ahnde. Ich versuchte halbherzig, den Unterschied zwischen einer fiesen Parole und einer dummen Bemerkung zu erläutern, gab es aber schnell auf, weil derselbe Junge, der sich halbherzig auf die Seite des Pöbels zu schlagen versucht hatte, nun sagte: "Er muss aber auch sagen dürfen, was er denkt. Wenn 1000 Heil Hitler schreien, müssen trotzdem nicht alle mitmachen."
Der Auslöser schimpfte aus dem Hintergrund weiter. "Was bistn du für einer, dass du so politisch korrekt bist? Sicher ein Sozialpädagoge, oder ein Grundschullehrer." Dann machte er einen Fehler. Er fragte nämlich, wie Hertha gespielt hätte. Die Leute im Raum hatten ihn für einen Fan gehalten, er war aber, das hatte ich schon geahnt, nur ein Fan von Deutschland, und hatte mit Hertha gar nichts im Sinn. Er war ein zufälliger Fahrgast, zufällig ein echter, übler National(team)ist, der über den Rest der Fahrt immer wieder "Ha, ho, he" in die Runde schmetterte, dem nun aber nur noch die Solidarität als Berliner widerfuhr.
"Das mögen sie nicht an uns Berlinern: dass wir immer sagen, was wir an uns denken", bellte einer von weiter hinten. "Genau, Meinungsfreiheit!", pflichtete mein Hauptgegner bei. Einen so heillosen Moment politischer Konfusion habe ich, glaube ich, noch nie erlebt. Beim Aussteigen wünschte mich der Auslöser noch einmal lautstark zurück in die Alpen, wo ich ja die Kühe ficken könnte. Nur der eine junge Mann, der sich allein auf meine Seite geschlagen hatte, verabschiedete sich. Wir schüttelten uns die Hände. Von der Hertha war auf der ganzen Fahrt nicht die Rede gewesen.
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