Schlechte Avantgarde

Für Frühjahrsmüdigkeit ist es kalendarisch eigentlich noch zu früh, aber draußen fühlt es sich schon deutlich nicht mehr nach Winter an, und so kann man es sich vielleicht erklären, dass Hertha BSC das Spiel beim HSV am Sonntagabend mit mäßigem Engagement bestritten und folgerichtig auch mit 1:0 verloren hat. Es ist ein merkwürdiger Moment in der Saison, denn statistisch kann man immer noch darauf pochen, dass die sehr gute Heimbilanz die sehr schlechte Auswärtsbilanz aufwiegt (die Leistungen sind aber auch im Olympiastadion alles andere als bemerkenswert).

Der HSV steckt im Abstiegskampf, Hertha spielt nominell um Europa, de facto sind die Leistungen nicht danach, und zwar schon lange nicht. Die ganze aufbegehrende Traditionsformation, die im Herbst den etablierten Europäern die Plätze streitig gemacht hatte, schwächelt derzeit: die Eintracht, der FC Köln und Hertha lassen deutlich erkennen, dass sie eigentlich da vorn nichts zu suchen haben. Gladbach eilt auch mit Riesenschritten (und zum Beispiel viel größerer Teamlaufleistung als die behäbige Hertha) schon daher, damit wenigstens eine Entwicklungsgeschichte in der Liga ihre Berechtigung behält.

Hertha hingegen stagniert offensichtlich, und ich frage mich mehr und mehr, ob das nicht auch etwas mit dem Charakter der Liga als solcher zu tun hat. Der HSV hat das Spiel gewonnen, und das passt auch irgendwie, aber in erster Linie war es ein dürftiges Spiel von beiden Mannschaften (auf einem Terrain, das eigentlich verboten gehörte). Die Bundesliga hat sich in den letzten Jahren gern gebrüstet, sie wäre nun endlich die beste Liga der Welt. Davon kann aber keine Rede sein. Sie versinkt derzeit in einer Mittelmäßigkeit, aus der höchstens ein paar Clubs oben und unten ein bisschen herausragen.

Hertha trägt zu dieser Mittelmäßigkeit bei, weil die Mannschaft sich weigert, für ihre Ansprüche und für die Tabellenposition die Verantwortung zu übernehmen. Die regelmäßige Verweigerung, auch die ersten 45 Minuten schon ernst zu nehmen, und das überwiegende Bemühen, die erste Halbzeit nach Möglichkeit in einen neutralisierten Modus zu versetzen (irgendwann kommt noch der Ruf nach einem Safety Car!), ist dafür das deutlichste Indiz. Die gemütlichen Laufwerte sind ein anderes.

Im Winter haben die Verantwortlichen sich dafür entschieden, rhetorisch diese Verantwortung zu übernehmen, aber die Taktik und die Leistungen sind nicht danach. Es gab im Hamburg zwar Andeutungen, Per Skjelbred wurde zwei, drei Mal am gegnerischen Strafraum gesichtet, was natürlich ein Novum ist bei dem lange Zeit konservativsten Zerstörer der Liga. Aber zu einer integrierten Bemühung um ein produktives Aufbauspiel kann man das noch nicht zählen. Dazu bleibt alles noch zu sehr Stückwerk. Hertha hat keinen anderen Entwurf, als irgendwie in das letzte Drittel (das Spiels wie des Felds zu kommen), und dann irgendwie zu schauen, wie der Fußballgott die Münze wirft.

Gestern ließ er einen Schuss von Darida knapp am Pfosten vorbei streichen (die Abfälschung hätte auch anders ausgehen können), während dann eine Situation, die Plattenhardt durch einen Ballverlust hervorrief, auch danach noch Eingriffsmöglichkeiten bot - doch der HSV war da schon deutlich stärker engagiert, der Gegentreffer hatte seine Logik.

Die Betreuer setzten bald nach der Pause ein Zeichen, indem sie Duda für Stark brachten (der allerdings vor der Pause schon für Gelbrot fällig gewesen war, der Gnadenakt von Referee Brych war eine Fehlentscheidung). Der Slowake soll einmal der neue Spielmacher von Hertha werden, sein erster Auftritt ließ noch wenig davon erkennen - die handelsübliche Formulierung dafür ist: ihm fehlte es noch an Bindung zum Spiel. Ich habe mich vor allem für sein Positionsspiel interessiert, und genau geschaut, wie und ob er sich freiläuft, ob er diese Raumintelligenz zeigt, die Hertha insgesamt so deutlich fehlt. Na ja, es ist natürlich noch zu früh, um da etwas zu sagen.

Letztendlich ist es im Fußball immer zu früh, um etwas zu sagen, andererseits ist mit dem Ergebnis immer schon alles gesagt. In diese Lücke hinein kommentieren wir Fans, weil wir an den Fußball als Erzählung glauben - und nicht nur als wöchentliches Ereignis. Hertha ist derzeit eher schlechte Avantgarde - ein Formexperiment mit langweiligen Wiederholungen, ohne interessante Figuren, und wohl auch ohne einen überzeugenden Autor. Pal Dardai hat schon ein, zwei Mal gezeigt, dass er aus Krisen etwas lernen kann. Derzeit steckt er in der nächsten - und es ist keineswegs eine Krise "auf hohem Niveau", auch wenn man Platz 5 damit verwechseln wollte.

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