Ein böses Wort machte am Freitagabend nach dem 2:2 von Hertha in Freiburg die Runde: Ottl. Es war auf Jens Hegeler gemünzt, der auch mich an den seinerzeitigen Mittelfeldspieler erinnerte, der mit genetischer Sonderausstattung nach Berlin kam und hier vor allem durch eine sonderbare Ungerührtheit auffiel. Ottl steht für ein leidenschaftsloses, unproduktives Spiel, und leider kann man Hegeler einen entsprechenden Vorwurf nicht ersparen.
Aber es wäre natürlich verkehrt, einem einzelnen Spieler etwas anzulasten, was die ganze Mannschaft gestern wirklich redlich im Verbund geboten hat: eine doch bedenklich dürftige Leistung, die nur durch zwei Freistoßtore von Ronny im Ergebnis aufgewogen wurde.
Eine englische Wettprognose von Raphael Honigstein sah vor dem Spiel noch Hertha als leichten Favorit zwischen zwei Mannschaften mit Problemen - und zwar wegen der "höheren individuellen Qualität". Zum Teil saß diese Qualität zu Beginn noch auf der Bank, wobei es sich möglicherweise auch um eine Qualität handelt, die eher mit Namen als mit Leistung zu tun hat. Bei John Heitinga, bei Valentin Stocker, bei Salomon Kalou wissen wir noch nicht, welche Qualität sie für Hertha haben werden.
Der Trainer ließ in der Pressekonferenz vor dem Spiel jedenfalls deutlich erkennen, dass es mit ihrer "Bindung" noch nicht zum Besten steht. "Salomon Kalou ist sicherlich noch nicht eins mit seinen Mitspielern." Er legte aber auch Wert auf die Tatsache, dass er jedem Spieler jeweils "mit Respekt" eine "Standaufnahme" über ihre Situation gibt. In diesem Fall war die Situation so, dass Heitinga, Stocker und Kalou anfangs auf der Bank saßen, alle drei kamen aber im Lauf des Spiels.
Sieht man sich die Sache taktisch an, wird der Fokus auf Hegeler gleich einmal begründeter. Hertha hatte mit ihm einen überzähligen Mann im Zentrum des Feldes, an dem das Spiel weitgehend vorbeilief - in den wenigen Momenten, in denen es offensiv auf ihn ankam, verschleppte er das Tempo, was einen Ottl-Faktor par excellence ergab. Freiburg war auf den Flügeln dominant, das Pressing war viel intensiver und klüger, und Philipp (der Breisgauer Kalou, wenn man so will) hatte viele Szenen.
Wenn Hertha es überhaupt darauf angelegt hatte, ein Spiel durchzusetzen, so war davon nichts zu sehen. Das lag einerseits am Gegner (auf eine gewisse Weise war das gestern auch ein Remake, auf deutlich niedrigerem Niveau natürlich, der paradigmatischen Begegnung zwischen Dortmund und Arsenal vom Dienstag - die Mannschaft mit der "höheren Qualität" kam nie in die Gänge), andererseits an einem eklatanten Mangel an gemeinsamer Initiative.
Die Gründe dafür liegen nahe. Hertha hat ein Defensivproblem, so lag der Schwerpunkt zuerst einmal darauf, Sicherheit zu gewinnen. Freiburg brauchte eine Standardsituation, um Hertha zu gefährden. Den Kopfballtreffer durch Kempf (symptomatisch für den größeren "Hunger" der Freiburger) glich Ronny bald mit einem exzellenten Freistoß aus. Danach aber wurde die Begegnung immer einseitiger, und die Bemühungen von Hertha wurden immer fadenscheiniger.
Wenn man Kompaktheit auf Kosten der Initiative finden will, fehlt es häufig an beidem. So war es schließlich auch. Hertha gab sich zwar nur wenige Blößen in der zweiten Halbzeit, der neuerliche Führungstreffer durch Klaus kam aber nicht überraschend. Es fehlte einfach an Entlastung, weder Hegeler noch Ronny noch der eingewechselte Stocker (seltsam über das Feld vazierend) und auch nicht der tatsächlich vereinzelt wirkende Kalou (kam zur Pause für Schieber, dessen Stammplatzgarantie schon abgelaufen ist) brachten etwas.
Eine "funktionierende, harmoniernde Mannschaft", wie Jos Luhukay sie sehen will, scheint derzeit weit entfernt. Das könnte schon auch damit zu tun haben, dass kaum jemand wissen kann, ob er im nächsten Spiel auch wieder dabei sein wird, was umgekehrt heißt: auf die viel beschworenen Automatismen muss Hertha vorerst verzichten.
Freiburg war eindeutig die besser eingestellte Mannschaft, das Verhältnis von Möglichkeiten und Mitteln stimmte, Herthas zunehmende Passivität kann als Teil des Freiburger Matchplans gesehen werden. Mit einer zu harten rote Karte gegen Schulz zum Ende des Spiels trug dann auch noch der Schiedsrichter dazu bei, dass weiter rotiert werden muss. Ich fürchte, wir müssen uns auf einen schwierigen Herbst einstellen. Vielleicht wird dann ja die Rückrunde ähnlich erfolgreich wie im Vorjahr die erste Saisonhälfte. Dagegen spricht, dass Hertha dann von den Abstiegsplätzen aus angreifen müsste.
Doch so weit sind wir tatsächlich noch nicht. Wir sind nur Zeugen einer ausgedehnten Findungs- und Bindungsphase. Wenn an deren Ende eine schlagkräftige Mannschaft stehen soll, wird Jos Luhukay seine Pädagogik ein wenig ändern müssen. Derzeit spielt er, auch wenn er das sicher intern anders kommuniziert, die zu vielen Spieler im Kader eher gegeneinander aus, als dass er ihren Konkurrenzdruck produktiv macht.
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