Im Fußball hat jedes Tor eine Geschichte, aber die spannende Frage ist, ob sie sich herauslösen lässt aus dem Spiel. Wann beginnt ein Treffer genau? Ich glaube, es war Klaus Theweleit, der dazu einmal ein paar gescheite Dinge geschrieben hat, bei Gelegenheit werde ich mir sein Buch Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell noch einmal genauer anschauen.
Heute aber will ich einfach einmal an einem konkreten Beispiel nachsehen, was man alles in Erfahrung bringen kann, wenn man sich einen Treffer genauer ansieht. Leider steht aus dem ersten Rückrundenspiel von Hertha in Stuttgart nur ein Gegentreffer zur Verfügung. Noch dazu ein vermaledeiter, ein Eigentor von Niklas Stark. Aber wie immer war es natürlich eine Koproduktion.
Die Sache - die ich Trefferanatomie nennen will - beginnt mit einem Stuttgarter Angriff über links, der geradezu jämmerlich vergeudet wird und mit einem Einwurf für Hertha endet. Die Spielunterbrechung wird für die Einwechslung von Ibisevic für Selke genützt. Dann bringt Mitchell Weiser den Ball zurück ins Spiel. Er wirft ins Halbfeld, wo Ibisevic eine schnelle Bewegung mit dem Kopf einzuleiten versucht, die Kalou mit einem eleganten Ableger unterstützt. Die Sache ereignet sich deutlich in der Hälfte von Hertha, eigentlich wäre hier noch eher sorgfältiges Kombinieren angesagt, aber der Ball kommt schon so, dass man ihn nur spekulativ verarbeiten kann.
Die Beschleunigung führt dazu, dass Insua aus einem Zweikampf, den er gegen Leckie gewinnt (eigentlich gewinnt er ihn sogar zweimal), dynamisch hervorgeht. Er zieht nach links, und nun arbeitet Stuttgart spekulativ, allerdings in diesem Fall schon deutlich näher zum Tor. Öczan und Gomez bilden für einen Moment so etwas wie einen Knäuel, an dem sich mehrere Herthaner orientieren, allerdings spielt Öczan zu Ginczek, während Gomez (ein Torjäger) sofort Richtung Elfmeterraum zieht. Der Doppelpass ist eigentlich ein Triplepass, denn Ginczek verbindet Öczan mit Gomez, während die beiden sich entflechten.
Stark, der Gomez nach Möglichkeit in Manndeckung halten will, kommt schlecht aus dem Knäuel heraus und steht nun in etwa so zum Gegner, wie neulich auch Torunarigha zu Werner in Leipzig. Das Foul (im Strafraum, eigentlich mit einer roten Karte zu ahnden) wird durch das Eigentor gegenstandslos.
Obwohl fast alle Feldspieler sich in der Hälfte von Hertha befinden, ist das beinahe ein Kontertor. Herthas Spielaufbau ist zu luftig, die Defensive zeigt wenig Intuition, man sieht das daran, dass im Moment des Passes von Gincez die beiden Sechser Maier und Skjelbred nicht mehr involviert sind (sie sind stehen geblieben). Lustenberger kann sich nicht entscheiden, ob er Ginczeks Pass unterbinden soll oder Gomez folgen (er hatte gegen Leipzig noch brillante "interceptions" gezeigt). Bei Niklas Stark ist das Zweikampfverhalten ohnehin ein Moment, an dem sich entscheiden wird, ob er eine bedeutendere Karriere machen kann.
Ein komplexes Tor also, und auch ein ganz einfaches, denn in neun von zehn Fällen bleibt so ein Angriff stecken, einmal aber geht er durch. Der unbesungene Held ist Insua, dessen Antritt überhaupt erst das Tempo in die Aktion brachte, das Hertha schließlich überforderte. Mitchell Weiser kann so etwas auch, bei ihm klappt es aber schon längere Zeit nicht so recht. Zur Vorgeschichte der Vorgeschichte des Gegentreffers gehören auch zwei schludige Pässe, einer von Lazaro, einer von Weiser, die einmal mehr in diesem Spiel das Offensivspiel von Hertha beeinträchtigt haben. Man kann mit einigem Recht sagen: Hertha hat sich in Stuttgart selbst geschlagen.
Heute gibt es im Olympiastadion gegen den BVB eine Gelegenheit, das zu kompensieren.
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