Verluste der Vergangenheit

Es war ein zwiespältiges Bild, das wir am Sonntag von Hertha BSC bekommen haben. Der noch neue Präsident Kay Bernstein neben Benjamin „Benni“ Weber, dem neuen sportlichen Verantwortlichen, der aber (noch) nicht Geschäftsführer Sport sein darf. Dicht an der anderen Schulter Thomas Herrich, der neue Ingo Schiller, der zumindest den Anschein zu erwecken versucht, weniger abenteuerliche Bilanzen anzustreben. Und ganz außen Klaus Brüggemann, Vorsitzender des Aufsichtsrats, vom Habitus jemand, den man eher in Gesellschaft von Rolf Eden erwarten würde als bei einem Bundesligaclub. Und auch von der Ausdrucksweise eher Schnauze als Sonett: wirtschaftlich herrscht bei Hertha BSC ein „unglaublicher Druck auf dem Kessel“, mit diesen Worten sorgte er gleich zu Beginn für Klarheit.

Die Entlassung von Fredi Bobic wurde von Kay Bernstein mit einem Moment defensiver Hilflosigkeit erklärt: freigestellt? Vertrag aufgelöst? Abfindung? Natürlich konnte, wollte und durfte er zu einer Abfindung – von der man ausgehen muss, wenn der Vertrag aufgelöst wurde – nichts sagen, das hätte ja nur den Druck auf den Kessel erhöht. Die Kunst, mit Worten nichts zu sagen, ist im Fußball sehr wichtig, und nicht nur dort. Kay Bernstein hat während der knappen Dreiviertelstunde erstaunlich offen über vieles gesprochen, an diesem Punkt aber fand er die Balance zwischen offensiver Offenherzigkeit und rhetorischer Fünferkette nicht mehr. Immerhin kann er sich in diesem Moment auf das Ritual verlassen: bei so einer Pressekonferenz stellen die Journalisten (viele per du) Fragen, aber kaum Nachfragen. Man weiß, wo der Schonbereich beginnt.

Der Druck auf dem Kessel hat mit „Verlusten der Vergangenheit“ zu tun, das war auch eine Sprachregelung. Hertha hat in den vergangenen Jahren trotz oder auch wegen der Windhorst-Millionen offensichtlich ungewöhnlich schlecht gewirtschaftet. Normalerweise müssten Bernstein und Brüggemann das untersuchen (lassen), aber Brüggemann ist ja Teil des alten Establishments und saß quasi als trojanisches Pferd mit Wendemähne auf dem Podium. Ein Fremdkörper in jeder Hinsicht, steinälteste Hertha.

Sachlich aber war das gestern ein Moment des Aufbruchs. Die bettelarme Hertha, die aber immerhin für einen Investor interessant ist, der immer wieder mit „Triple Seven“ und nicht mit „Siebensiebensieben“ bezeichnet wurde (als wäre man mit dem coolen englischen Brand schon halb an der Wall Street notiert), die Kirchenmaus der Bundesliga konzentriert (kontrahiert) sich nun ganz auf sich selbst. Fredi Bobic hat in meinen Augen keinerlei Sinn für Identitätsbildung gehabt, sein Kader war ein Potpourri von allen Resterampen. Und die Trainer der letzten Monate und Jahre waren alle zu weit weg von Hertha, um auch nur zu ahnen, was dem Club mit Arne Maier oder Jordan Torunarigha verloren gegangen ist.

Zwei Spieler, die gewiss nicht zum Sturm in die Champions League geblasen hätten, die aber einen Sunjic, einen Ascacibar, einen Kempf auf jeden Fall ebenbürtig ersetzt hätten beziehungsweise bei denen man fragen darf, warum man sie ziehen lassen musste, um die durch farblose Durchschnittskicker zu ersetzen. Arne Maier hatte in Augsburg einen schwierigen Herbst, im neuen Jahr hat er sich aber wieder gezeigt. Für mich ist der Umgang mit ihm, den Hertha sich geleistet hat, nach wie vor ein Schlüsselmoment, den ich auch zu den „Verlusten der Vergangenheit“ zähle.

Nun soll also einer aus den eigenen Reihen das Richtige tun. Benjamin Weber war aber auch schon weg, denn dort, wo die meisten Fans schon nicht mehr so genau hinschauen, wurde bei Hertha auch unter Bobic viel umgebaut. Jetzt soll Hertha quasi aus der eigenen Akademie heraus neu entstehen, also aus dem Bereich heraus, für den Weber steht, der im übrigen aus der Ära von Michael Preetz stammt. Gestern machte er einen guten Eindruck. Ich finde es mit ihm auf jeden Fall plausibler als mit, sagen wir, Horst Heldt oder sogar Sven Mislintat, der natürlich interessant gewesen wäre, aber auch schwer umgerührt hätte vermutlich.

Kay Bernstein hat am Sonntag für den Eindruck von Einigkeit gesorgt, auch dadurch, dass sich alle eng gedrängt am Podium zeigten. Hertha rückt zusammen. Für die Lizenz (Abgabe der Zahlen, Daten, Fakten im März) wird zwischen Erstliga- und Zweitligaetat wahrscheinlich gar kein so großer Unterschied sein, denn Hertha wird auch in Liga eins sparsam wirtschaften müssen. Denn sollten von „Dreifachsieben“ tatsächlich die kolportierten 100 Millionen fließen, dann muss dringend darauf geachtet werden, dass die auch tatsächlich in sportliche Verstärkung gehen, und nicht in fürstlich dotierte „Strukturen“, die dann wieder als „Verluste der Vergangenheit“ mitgeschleppt werden müssen.

Für mich persönlich war das gestern ein guter Moment, wieder einzusteigen. Wenn das mit 777 klappt, wenn wir mit Windhorst und Tennor nichts mehr zu tun haben, wenn wir also einen persönlich unsympathischen Kapitalisten durch amerikanisch-technokratische Kapitalisten ersetzt haben, wenn die alte Dame sich in den Jungbrunnen der eigenen Nachwuchsarbeit mit „Zecke“ als Mentorenfigur wirft, wenn sie mit einem jungen Manager für die sportlichen Belange etwas probiert, ist Interesse und Wohlwollen allemals verdient.

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