Drei Spieltage vor Schlussbilanz hat Hertha gut Chancen auf das Erreichen von zwei speziellen Saisonzielen, die ich einmal formuliert habe: eine positive Tordifferenz und ein Tabellenplatz vor dem FC Augsburg. Der Vergleich mit dem Verein aus der bayerischen Kleinstadt erwies sich auch in diesem Jahr als sinnvoll, denn Augsburg stellt weiterhin so etwas wie einen funktionalen Mittelwert der Liga dar. Allerdings hat Hertha zuletzt alles getan, diese Position selbst einzunehmen. Hertha ist in diesem Jahr das neue Augsburg geworden.
Da trifft es sich gut, dass heute das Heimspiel gegen Augsburg ansteht. Da treffen also zwei Mannschaften mehr oder weniger auf sich selbst: auf eine nackte Überlebenspragmatik, die von der Teilnahme an der ersten Liga nicht mehr erwartet und zu ihr nicht mehr beiträgt als die minimalen Leistungen, die den Ausschluss (durch Abstieg) verhindern.
Es gibt allerdings einen Unterschied: Augsburg kann diese Erzählung aufgrund der lokalen Standortfaktoren auch dauerhaft verkaufen. Hertha wird aber kaum eine weitere Saison mit einer Erzählung durchkommen, dass (vorerst noch) der Zweck alle Mittel heiligt, nämlich ein extrem pragmatisches Vorgehen, das eigene Verantwortung für das Spiel und den Charakter der Liga zurückweist.
Die Personalie Mitchell Weiser ist ein Symptom dafür, dass die Erzählung schon dieses Jahr nicht mehr von allen akzeptiert wurde. Der Jungstar, der eine Geschichte beim FC Bayern in der Biographie hat, war Hertha im Grunde immer ein bisschen voraus. Er spielte vor zwei Jahren schon so, wie Hertha vielleicht künftig einmal spielen könnte - wenn man der Erzählung von Pal Dardai glauben darf.
Dieses Jahr lief zwischen Weiser und Hertha (und ich unterstelle aufgrund einiger öffentlicher Indizien: auch zwischen Weiser und Dardai) vieles schief. Einer der auffälligsten Vertreter der Gruppe der "stillen Reserven" wird aller Voraussicht nach relativ sang- und klanglos das Weite suchen. Er kann aktuell keine guten Leistungen vorweisen, kann das aber auch nicht ohne Grund auf Hertha schieben. Denn gute Leistungen waren in dieser Saison für die ganze Mannschaft kaum einmal das Ziel.
Der Vergleich mit Augsburg ist heute auch noch aus einem weiteren Grund interessant. Denn Augsburg war in dieser Saison unter Trainer Manuel Baum vielfach gar nicht Augsburg, sondern hat einen durchaus interessanten Fußball gezeigt, während Hertha vor allem im Olympiastadion einige typische frühere Augsburgiana gezeigt hat, trost- und freudlose Nullsummenspiele. Eine der schwächsten Saisonleistungen gab es (kleine Ironie) im Winter in Augsburg bei einem schmeichelhaften 1:1.
Im Vorjahr ging Hertha mit einem katastrophalen 2:6 gegen Leverkusen aus der Saison - und in den Europacup. Das war der Moment, in dem man eigentlich die tabellarische Überbewertung klar benennen hätte müssen, und in mancherlei Hinsicht ging die Kaderplanung auch darauf ein. Hertha hat heute einen interessanten, ausgeglichenen Spielerpool mit vielen Begabungen, von denen nur eines nicht ganz klar ist: wann sie beginnen werden, wirklich gemeinsam Fußball zu spielen.
Die drei Begegnungen gegen Augsburg, Hannover und Leipzig sind dazu eine herausragende Gelegenheit. Kein desolater Rasen, kein Druck durch mittelbare Abstiegsgefahr, und dazu noch zwei Gegner in der eigenen Preisklasse und ein symbolisch aufgeladener in einem abschließenden Heimspiel, das sogar noch ein direktes Duell (um Platz 8?) werden könnte: Hertha hat alle Möglichkeiten, dieser Saison noch einen Akzent zu geben. Und sich gegen Verwechslungsgefahr im Niemandsland der Liga zu wehren.
Kommentare
Einen Kommentar schreiben