Vor eineinhalb Jahren hatte ich einmal ein spezielles Saisonziel für Hertha BSC ausgegeben: im Frühjahr 2017 vor dem FC Augsburg zu stehen. Das gelang auch, mehr noch, Hertha qualifizierte sich für die Europa League. Beim gestrigen Auswärtsspiel war allerdings zu sehen, dass der Vorsprung schon wieder weg ist - tabellarisch wie qualitativ.
Der Vergleich mit dem FCA macht in vielerlei Hinsicht Sinn. Die bayerischen Schwaben spielen jetzt die siebente Erstligasaison in Folge, bei Hertha ist es die fünfte. Augsburg hat im Grunde ständig Übergangsjahre, hält sich dafür aber erstaunlich gut. Vor allem aber ist Hertha von den Standortfaktoren her eigentlich in einer ganz anderen Liga, bekommt es de facto aber trotzdem nicht hin, sich von dem Provinzclub allmählich abzusetzen. Im Gegenteil.
Mein langfristiger Direktvergleich mit dem FCA hatte auch ein kleines, ironisches Motiv: Die Spiele zwischen Hertha und Augsburg waren oft eine Qual, sie machten besonders deutlich werden, woran diese Liga, in der so wenige Clubs Verantwortung übernehmen wollen, krankt.
Gestern war das anders. Augsburg zeigte eine plausible Leistung für ein Heimspiel. Hertha präsentierte sich schwach und hätte verdient 0:1 verloren, wenn es nicht ganz spät noch eine Verkettung von Umständen gegeben hätte, die dann einige Entscheidungen der Betreuer in ein besseres Licht rückte.
Derzeit setzt Pal Dardai bevorzugt auf die Doppelspitze mit Ibisevic und Selke. Ich habe das neulich einmal als eine Hauruck-Formatione bezeichnet. Mittelstädt verdankt seinen aktuellen Stammplatz sicher auch vor allem den scharfen Hereingaben, zu denen er in der Lage ist. Das spielerische Loch in der Gesamtkonzeption kann man - nicht zuletzt angesichts derzeit holpriger Plätze - vielleicht eine Weile in Kauf nehmen.
In der WWK-Arena gab es allerdings zwei grundlegende Probleme: beide Außenduos waren schwach, vor allem Weiser (unkonzentriert) und Leckie (überhaupt nicht im Spiel) ließen aus, ein dynamisches Spiel über die Flügel gab es auch links nicht. Hertha war defensiv beschäftigt, und versuchte bei den seltenen Entlastungen dann ausgerechnet ein anspruchsvolles Kombinationsspiel (gefühlt hat allerdings kein einziger Doppelpass funktioniert).
Augsburg spielte geradliniger und klarer, bis Hertha nach einer Stunde die logische Konsequenz zog und Esswein und Lazaro für Ibisevic und Leckie brachte. Darauf folgten fünf gute Minuten, dann kehrte die Passivität zurück, und Caiuby, der davor zweimal bei einem Eckball seine Visitenkarte abgegeben hatte, wurde weiterhin nicht beachtet und traf zur Augsburger Führung. Hertha verteidigt bei Eckbällen im Raum, bei Caiuby hätte sich zu diesem Zeitpunkt längst eine Manndeckung empfohlen.
Der späte Ausgleich war eine Koproduktion von Selke, Esswein, Stark und Kalou - also im Grunde eine Skizze der nach einer Stunde überarbeiteten taktischen Konzeption: Selke nun allein vorn und dort präsenter, Esswein zuerst rechts, nach dem Eckball links wach, Stark im Strafraum per Kopf, und Kalou (spät als Joker gebracht) als Joker zur Stelle. Da ging etwas auf, gerade noch mal so eben.
Noch ein Wort zu Esswein: wenn er bei seiner großen Chance gleich nach der Einwechslung den Ball mit ein bisschen mehr Intensität annimmt, wenn er sich also nicht ein wenig nach außen abdriften lässt, dann hat er ideal die Möglichkeit, noch ein bisschen zu gehen, und besser abzuschließen. Man sieht bei den Spielern von Hertha häufig (besonders deutlich bei Langkamp), dass beim Warten auf die Ballannahme komplizierte Denkprozesse ablaufen, wodurch sie manchmal bessere Positionen vergeuden. Esswein ist eigentlich einer mit kurzen Denkwegen, aber auch er hat in dieser Situation ein bisschen (und charakteristisch) gezögert.
Das sind winzige Indizien für einen insgesamt nicht schwer zu durchschauenden Gesamtbefund: die Mannschaft und auch die Betreuer brauchen dringend Zeit, sich zu reorganisieren. Pal Dardai spricht auffällig häufig von "Tagesform", da hört man auch eine Einsicht durch, dass er nicht immer genau versteht, was vor sich geht. Gestern hat er das dann auch ganz ausdrücklich so geäußert in dem Interview gleich nach dem Spiel. Die Mannschaft ist ihm (und sich) in mancherlei Hinsicht ein Rätsel. Für die Lösung bleibt wenig Zeit, vorerst reichen aber auch schon Ansätze wie in den letzten Minuten gegen den FC Augsburg.
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